178 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
l. Der Schutz des Privatrechtes, als Macht, als Recht und Pflicht
des Staates bildet die Civilgerichtsbarkeit. Die zu diesem Be-
hufe planmälsig geordnete, ineinandergreifende Thätigkeit des Staates,
der Parteien und mitwirkender Dritter (der Parteivertreter, Zeugen,
Sachverständigen) ist der Civilprozels.
Sie empfangen Richtung und Inhalt durch die Schutzbedürf-
tigkeit des Privatrechtes. Und diese wiederum bestimmt sich nach
der doppelten Funktion alles Rechtes: die Planmäfsigkeit und Be-
rechenbarkeit des gesellschaftlichen Lebens zu verbürgen durch die
Anerkennung der an festen Malsstäben in den einzelnen konkreten
Willensverhältnissen sich entwiekelnden Rechte und Pflichten einerseits
und andererseits die Übereinstimmung des thatsächlichen Verhaltens
der Beteiligten mit diesen objektiven Malfsstäben zu erwirken. Wo
Hemmung oder Zerstörung einer dieser beiden Funktionen vorliegt,
da ist Schutzbedürfnis, da ist Rechtsverletzung, da ist Rechts-
streit im vollen, weiten Wortsinne!.
Rechtsstreit ist vorhanden, wenn den Rechten und Pflichten,
für deren Begründung der Malsstab des objektiven Rechtes angerufen
wird, unter den Beteiligten übereinstimmende und bindende An-
erkennung verweigert wird. Gleichgültig ist es, ob die Verweigerung
der Anerkennung durch ein thatsächliches, mit dem behaupteten Rechte
des andern in Widerspruch stehendes Verhalten des einen Beteiligten
Ausdruck findet oder ob dieselbe lediglich in der Verneinung einer
andererseits behaupteten Pflicht oder in der Berühmung eines anderer-
seits bestrittenen Rechtes bestelt -- vorausgesetzt allerdings, dals
diese Verneinung oder Berühmung nicht nur eine theoretische, sondern
eine gesellschaftlich wirksame, d. h. eine die Sicherheit und Berechen-
barkeit der gesellschaftlichen Thätigkeit hemmende, d. h. ein „recht-
liches Interesse“ der Partei berührende ist?.
Rechtsstreit ist aber auch dann vorhanden, wenn trotz ge-
währter Anerkennung oder trotz rechtlicher Unanfechtbarkeit der
Rechte und Pflichten unter den Beteiligten das thatsächliche Verhalten
in Widerspruch steht mit dem thatsächlichen Verhalten, welches Inhalt
und Zweck des Rechtsverhältnisses ausmacht. Hier ist nicht Streit
um das Recht, aber Widerstreit gegen das Recht.
Dieser Schutzbedürftigkeit hat der Staat gerecht zu werden. Die
Civilgerichtsbarkeit hat es zum Zwecke, durch die Autorität des
Staates und in den rechtlichen Formen des Prozesses den Rechtsstreit
auf dem Gebiete des Privatrechtes zu schlichten. Und wie der Rechts-
1 Im Sinne der C.P.O. z. B. Einführungsgesetz a. 3.
2 Das ist die Voraussetzung der Anerkennungsklage C.P.O. a. 231.