Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

184 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates. 
d. Ja, die Natur des Privatrechtes gestattet dem Staate, über 
diese grundsätzlichen Linien hinauszugehen in der Richtung, die durch 
den Gegensatz der Verhandlungs- und Untersuchungs- 
maxime bezeichnet wird. An sich widerspricht es der Natur des 
Privatrechtes nicht, dals der Staat, wenn und solange die Parteien 
einen Privatrechtsanspruch im Prozesse angriffs- oder verteidigungs- 
weise behaupten und festhalten wollen, wie er die anwendbaren Rechts- 
regeln von Amts wegen zu finden hat, so auch die Klarlegung des 
gesamten Stoffes des Rechtsstreites in dem Umfang und in den Formen 
von Amts wegen bewerkstelligt, um nach eigener Überzeugung das 
Urteil sprechen zu können. Hier bleibt den Parteien unbenommen, 
nach Mafsgabe des Privatrechtes über ihr materielles Recht zu ver- 
fügen, aber über das Prozefsrecht haben sie keine Disposition; der 
Richter erzwingt sich die Auskunft der Parteien, erhebt nach seinem 
Ermessen die Beweise und vollzieht ohne und gegen den Willen der 
Parteien die Vorschriften des Verfahrens. Das ist der Charakter der 
Untersuchungsmaxime. Aber auch eine andere Methode kann 
Platz greifen. Allerdings bleiben auch hier die Vorschriften unab- 
hängig von jeder Parteiwillkür bestehen, welche notwendig sind als 
Bedingungen eines planmälsig geordneten Verfahrens und welche die 
Parteirechte nach Art und Mals, nach Voraussetzung und Wirkung 
feststellen und begrenzen. Allein unbeschadet dessen werden die Vor- 
schriften des Prozefsrechtes dergestalt konstruiert, dals sie, wenn im 
Interesse der rechtsbegehrenden Partei gegeben, nur die Voraus- 
setzungen bilden, unter welchen derselben verziehtbare, subjektive 
Prozefsrechte zur Verfügung stehen, oder dafs sie, wenn Beschränkungen 
und Verpflichtungen im Interesse der Gegenpartei enthaltend, lediglich 
verzichtbare, subjektive Prozefsrechte dieser Gegenpartei darstellen. 
‘Dadurch geschieht es, dafs der Gang des Prozesses im weiten Umfang 
durch einseitige oder zweiseitige Verfügungen der Parteien über ihre 
subjektiven Prozefsrechte bestimmt wird, dals die rechtlichen Folgen 
der Verletzung gewisser Prozefsvorschriften nur auf Rüge der interes- 
sierten Partei eintreten, vor allen Dingen, dafs der Richter ausschliefs- 
lich denjenigen thatsächlichen Stoff seiner Prüfung unterziehen darf, 
den ihm die Parteien vorlegen, und dals er Beweise für ihr thatsäch- 
liches Vorbringen nur soweit fordern darf, als die Parteien es nicht 
als wahr unter sich gelten lassen wollen. Das ist der Charakter der 
Verhandlungmaxime. Sie liegt, wenn sie auch nicht begrifflich 
gefordert ist, doch in der voll durchgeführten Konsequenz des Grund- 
verhältnisses zwischen Privatrecht und Prozefs. Denn sie geht von 
dem zutreffenden Gesichtspunkte aus, dafs der freie Gebrauch der
	        
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