Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

198 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates. 
„authentisch“ erläutert, bezeichnete es nicht minder als das Ziel der- 
selben: „den völkerrechtlichen Verein in einen staatsrechtlichen, 
den bisherigen deutschen Bund in einen wahren Bundesstaat 
zu verwandeln“. 
Nach der Absicht aller Beteiligten stellte die Reichsverfassung, 
wie die Unionsverfassung von 1849 den „Bundesstaat“ dar und 
zwar in bewulster Gleichartigkeit mit den Bundesverfassungen Amerikas 
und der Schweiz. 
Damit ist aber auch historisch die Rechtfertigung gegeben, die 
jetzt geltende deutsche Reichsverfassung dem typischen 
Begriffe des Bundesstaates zu unterstellen, obwohl das Schlagwort bei 
ihrer Entstehung nicht dieselbe Rolle gespielt hat wie bei den Ver- 
fassungen von 1849. 
Es ist ein voller Irrtum, den Zusammenhang und die Gleich- 
artigkeit der jetzigen Reichsverfassung mit den deutschen Verfassungen 
von 1849 auf den äulserlichen Umstand zurückzuführen, dafs das 
Reichswahlgesetz vom 12. April 1849 für den konstituierenden Reichstag 
von 1867 ins Leben gerufen und dann durch die norddeutsche und 
die deutsche Verfassung inhaltlich in dauernder Geltung erhalten 
wurde. Eine besondere Gestalt nahm nur der preulsische Entwurf 
zur norddeutschen Verfassung vom 15. Dezember 1866 in Aussicht, 
als er der preulsischen Hegemonie das Übergewicht über die Bundes- 
verhältnisse gab. In der Gestalt aber, welche die norddeutsche Ver- 
fassung und die Reichsverfassung durch die Beschlüsse der ver- 
bündeten Regierungen und des Reichstages gewannen, stellen dieselben 
in keiner Weise neue Schöpfungen dar. Sie sind an den ent- 
scheidenden Punkten und in den Grundzügen Repro- 
duktionen der deutschen Reichsverfassung von 1849 
und zwar in allen Hauptsachen in nächster Anlehnung 
an die Unionsverfassung. 
Einfache Reproduktion ist die Summe aller Kompetenzbestim- 
mungen. | 
Modifizierte Reproduktion ist die Grundorganisation. Denn der 
Bundesrat ist nichts anderes als der Fürstenrat der Uniönsverfassung 
lediglich mit dem Unterschiede, dals die Abstufung des Stimmgewichtes 
der Einzelstaaten nicht nach dem Vorbilde des Engeren Rates 
der ehemaligen Bundesversammlung durch Kuriatstimmen, sondern 
nach dem Vorbilde ihres Plenums durch Pluralitätsstimmen bewirkt 
wird. Der Reichstag ist der Reichstag lediglich unter Vereinfachung 
des Zweikammersystemes zum Einkammersystem. Das Präsidium, der 
Kaiser, ist genau der „Reichsvorstand“ der Unionsverfassung, nur dals
	        
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