206 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
oder weil sie nach Liebe°* „Hoheitsrechte“, d. h. zu eigenem
Rechte und nicht nur der Ausübung nach zustehende, ein staatsrecht-
liches Verhältnis begründende Rechte über ein Gebiet besitzen,
oder weil sie nach Laband?°° das „Recht haben, mit zwingender
Gewalt zu befehlen“,
oder endlich, weil sie nach Preufs?® Gebietskörperschaften mit
(Gebietshoheit, d. h. mit Verfügungsrecht über ihr Gebiet sind.
3. Mit der Annahme sowohl einer Doppelsuveränetät als mit der
behaupteten Eigenschaft der Einzelstaaten lediglich als Selbstverwal-
tungskörper ist das Verhältnis, in welchem die centrale und die
decentralisierten Gewalten stehen, ein einfach gegebenes. Die Doppel-
suveränetät stellt beide Staatswesen, ein jedes in seiner Kompetenz-
sphäre in voller Selbständigkeit und Unabhängigkeit nebeneinander.
Die Eigenschaft der Einzelstaaten als Selbstverwaltungskörper macht
dieselben zu selbstverwaltenden Provinzen des Einheitsstaates.
Dagegen kann die Gestaltung des gegenseitigen Verhältnisses einer
wesentlich verschiedenen rechtlichen Auffassung unterliegen dann, wenn
die Einzelstaaten zwar nicht um des Mangels ihrer Suveränetät willen
als durchaus gleichartig mit der centralen Organisation, aber doch als
eine über die Selbstverwaltungskörper wesentlich hinausgehobene Er-
scheinung betrachtet werden.
Die auf dieser Grundlage herrschende Auffassung erkennt es aller-
dings als in der Natur des Bundesstaates und im positiven Rechte
begründet an, dals die Einzelstaaten als solche in einem mannigfachen
Abhäneigkeitsverhältnisse und in vielseitiger Wechselwirkung mit der
Centralgewalt stehen, dals sie aus dem Gesichtspunkte einer Betrach-
tung des Staates als einer objektiven Institution wie die beiden sich
ergänzenden Hälften eines Staatswesens sich verhalten. Allein be-
trachtet unter dem Gesichtspunkte des Rechtes, der subjektivrechtlichen
Beziehungen, in denen sie zueinander stehen, bleiben trotzdem die
beiden Staatswesen getrennte, sich gegenübergestellte Organisationen,
deren Wirkungskreise im Gebiete der aktuellen Kompetenz des Reiches
sich zwar mannigfach schneiden, die aber darüber hinaus zu einem
organischen Ganzen rechtlich nicht verschmelzen.
Demgegenüber entsteht die abschliefsende Frage, ob eine Auf-
fassung auch im positiven Rechte ihre zureichende Begründung findet,
24 Staatsrechtliche Studien I. Sind die zu einem Bundesstaat ver-
einigten Staaten suverän? 1880. Staatsrechtliche Streitfragen, Tü-
binger Zeitschr. 1882 S. 638 ff.
25 Staatsrecht d. deutschen Reiches I 64 ft.
26 Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften. 1889.