$ 32. Das System des deutschen Staatsrechtes. sıl
Die Organisation des Staates in dem engeren Sinne, in dem
sie die Hauptorgane, das System der Behörden und Selbstverwal-
tungskörper befafst, mufs in Deutschland notwendig angelegt sein auf
die Kompetenz des Reiches. Ihre thatsächliche und rechtliche Ge-
staltung kann nicht schlechthin die nämliche sein, wie im Einheits-
staate. Das liegt für die centrale Organisation des Reiches auf der
Hand. Aber auch die Organisation der Einzelstaaten, obgleich histo-
risch unter dem Staatenbunde zu voller Selbständigkeit entwickelt,
hat notwendig durch die Gründung des Reiches eine Formation und
vor allen Dingen eine rechtliche Bedeutung empfangen, die nur in der
Reichskompetenz ihre Erklärung findet.
Die Funktionen des Staates, die Gesetzgebung und die
Befugnisse der vollziehenden Gewalt sind Attribute, die sich im zu-
sammengesetzten Staate einem oder jedem von beiden seiner Teile
nicht ohne weiteres nach dem Muster des Einheitsstaates zuschreiben
lassen. Vielmehr ist der Umfang und die innere rechtliche Gestaltung,
in welchen dieselben den zweiteiligen Organisationen des Reiches zu-
stehen, wiederum notwendig bedingt durch die Kompetenz.
Nicht minder kann das Grundverhältnis, welches zwischen den
Organen und Mitgliedern des Staates in Unterthanenschaft und
Staatsbürgertum obwaltet, in der Zwiefältigkeit eines zusammen-
gesetzten Staates nicht ein einfaches, wie im Einheitsstaate sein, son-
dern es wird sich durchaus eigentümlich gestalten. Es wird selbst ein
zwiespaltiges und trotzdem zur Widerspruchslosigkeit zusammen-
gestimmtes sein in einer Verteilung der staatsbürgerlichen Rechte und
der Unterthanenpflichten, die nieht minder nur in der Kompetenz
ihren Grund und Malsstab findet.
Die Territorialität endlich, die dem Begriffe des Staates
wesentlich ist, bewirkt es in dem zusammengesetzten Staat, dafs das
nämliche Gebiet das räumliche Substrat für die Machtentfaltung sowohl
der centralisierten als der partikularen politischen Organisationen ist.
Auch hier kann die doppelte rechtliche Gestaltung der Gebietsherr-
lichkeit nur durch eine Auseinandersetzung der Rechte und Pflichten
beider Teile bewirkt werden, die in der Koinpetenz des Reiches
wurzelt.
Nach allen Seiten hin ist es die Kompetenz des Reiches, welche den
Ausgangspunkt und die Grundlage bildet für die Entscheidung der
Frage, wie der Staat in Deutschland thatsächlich und rechtlich be-
schaffen sei.
Il. Damit ist denn aber auch die systematische Gliede-
rung des deutschen Staatsrechtes gegeben.
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