918 I. Buch. Die Reichsgewalt.
der einfachen Gesetzgebung und selbst der Verordnungen und Ver-
fügungen den neu hervortretenden oder anders sich gestaltenden Be-
dürfnissen des Volkslebens gerecht werden zu können. Ja wir können
sagen, dals selbst solche Veränderungen in der Auffassung des Staats-
zweckes und seiner Verwirklichungsweise, die von grundsätzlichster
und folgenreichster Bedeutung gewesen sind, fast immer ihre ersten
Anfänge in einzelnen Regierungsmalsregeln oder in einfachen Special-
gesetzen gewonnen haben. Insbesondere bietet die Verwendung der
finanziellen Mittel des Staates und damit das Budgetgesetz hierfür den
weitesten Spielraum.
Und das ist denn der Punkt, an welchem der Bundesstaat eine
andere rechtliche Gestaltung aufweist, als der Einheitsstaat. Hier hat
die Verfassung des ersteren einen notwendigen Inhalt und eine erhöhte
Bedeutung.
I. Sind die Kompetenzbestimmungen der Grundplan des Bundes-
staates, durch dessen Klarheit, Stetigkeit und Sicherheit allein das
Zusammenwirken zweier politischer Gemeinwesen für das Kulturleben
ein und desselben Volkes ermöglicht werden kann, so ergiebt sich
folgerichtig der Satz: Alle diejenigen Rechtssätze, welche
dazu bestimmt sind, den Wirkungskreis und die
Wirkungsweise der centralen Organisation und der
Einzelstaaten abzugrenzen und zusammenzuordnen,
sind ihrer formellen Natur nach Verfassungsgesetze.
Das bewährt denn auch das positive Recht. Die Entstehung jedes
Bundesstaates fällt zusammen mit der Abfassung einer Urkunde, deren
oberste Absicht es ist, die Verteilung der Staatsaufgaben und der
Regierungsrechte zwischen den centralen Gemeinwesen und den Einzel-
staaten zur Bedeutung und Kraft eines Verfassungsgesetzes zu erheben.
So auch in Deutschland.
I. Die historische Entstehungsweise aller Bundesstaaten,
welche die Einzelstaaten nicht von dem frühern Einheitsstaate abgliedert,
sondern das spätere centrale Gemeinwesen über den früher suveränen
Einzelstaaten bildet, auf der einen Seite und auf der andern Seite
die Unmöglichkeit, dafs jeder von beiden Teilen seine Kom:petenzen in
Selbstherrlichkeit bestimme, — ergeben weiterhin die gesetzgebe-
rische Methode, nach welcher die Verfassungsmälsigkeit der
Kompetenzbestimmungen bewirkt wird. Es geschieht dies in einer
doppelten Richtung.
1. Zunächst — es ist überall die Verfassung des centralen
Gemeinwesens und nicht die der Einzelstaaten, welche mit
Bindekraft für beide Teile die Kompetenzbestimmungen trifft.