Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 34. Die systematische Gliederung der Kompetenz. 995 
in welcher Weise die den Anforderungen der Nation an den Staat 
entsprechende Sicherstellung und Fortbildung des Gesamtplanes, den 
die Kompetenzbestimmungen aufstellen, bewirkt wird. Damit gewinnt 
die Zuteilung und Verteilung der formellen und materiellen Kom- 
petenzen an die beiden staatlichen Organisationen ihren letzten, für 
die Natur des deutschen Staates entscheidenden Abschluls in der 
Kompetenz - Kompetenz des Reiches. 
II. Zur Zeit des norddeutschen Bundes wurden die Kompetenzen 
desselben durch die gemeingültigen Mafsstäbe — bis auf einen ver- 
einzelten Punkt — in erschöpfender Weise bestimmt. Die Territorial- 
erweiterung, die der französische Krieg für Deutschland herbeiführte, 
die besonderen Bedingungen, unter denen die süddeutschen Staaten 
dem norddeutschen Bunde beitraten, die praktische Entwickelung einer 
besonderen Kompetenz, die ihre Wirksamkeit aulserhalb des Reichs- 
gebietes entfaltet, — sie haben es bewirkt, dals die die gemeingültige 
Kompetenz beherrschenden Grundsätze durchbrochen worden sind und 
damit der gemeingültigen eine besondere Gestaltung der Reichs- 
kompetenz zur Seite tritt. 
1. Der Grundsatz der Gleichberechtigung der Einzelstaaten im 
Verhältnis zur Rechtsmacht des norddeutschen Bundes hatte eine Aus- 
nahme nur in der singulären Bestimmung der Freihafenstellung der 
Hansestädte gefunden. Mit der Begründung des deutschen Reiches 
wurde die Ausnahmestellung einzelner Staaten auf eine ganze Reihe 
von Angelegenheiten, welche der Kompetenz des norddeutschen Bundes 
unterlegen hatten, ausgedehnt. Es geschah dies dergestalt, dals die 
näher bezeichneten Angelegenheiten bald für alle drei süddeutschen 
Staaten gleichmälsig bald nur für einzelne derselben überhaupt der 
Kompetenz des Reiches entzogen oder doch in einem abweichenden 
Malse ihr unterstellt wurden. 
Die ausnahmsweise Beschränkung, die hiermit die gemeingültige 
Kompetenz des Reiches erfährt, empfängt ihren Ausdruck in den 
verfassungs- und vertragsmälsisen Exemtionen bestimmter Einzel- 
staaten. 
2. Der Beschränkung tritt eine Erweiterung der Reiehskompetenz 
gegenüber, welche durch den Erwerb von Elsals-Lothringen 
und durch die Gründung der deutschen Kolonieen bewirkt wurde. 
Allerdings, jede von beiden Erscheinungen bildet ein durchaus anderes 
Rechtsverhältnis. Aber beide kommen in dem einen entscheidenden 
Punkte überein, dafs die Reichsgewalt sich hier auf Gebiete erstreckt, 
die durch das Gebiet der Einzelstaaten nicht gedeckt sind: Hier hat 
das Reich keine Beziehung mehr auf diejenigen politischen Organi- 
Binding, Handbuch. V. 1: Hänel, Staatsrecht. I. 15
	        
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