228 II. Buch. Die Reichsgew alt.
eine Mannigfaltigkeit der Kombinationen angelegt. Die Durchführung
des leitenden Grundsatzes ist hier nicht schlechthin an die einfache
Lösung gebunden, dafs beiden Teilen, dem centralisierten und dem
decentralisierten Staatswesen, jedem für den Bereich seines Kompetenz-
gebietes die Fülle der Regierungsgewalt zusteht. Beide Teile können
auch in Rücksicht auf ihre Regierungsrechte in einem Verhältnis
gegenseitiger Ergänzung und Unterstützung stehen. Es mag der
Centralstaat zur Erfüllung der ihm verfassungsmälsig zugeteilten Ver-
waltungsaufgaben die Hoheitsrechte der Einzelstaaten in seinen Dienst
stellen, oder umgekehrt mögen die Einzelstaaten bei der Handhabung
ihrer materiellen Kompetenzen auf die Mitwirkung der Regierungs-
gewalt des Centralstaates angewiesen sein. Dann stellt sich der Grund-
satz des Gleichgewichtes zwar in dem berechneten Zusammenwirken
der Regierungsrechte beider Teile her, aber er findet keine Geltung
für den einen oder den anderen Teil in seiner isolierten Betrachtung.
Ja, diese Möglichkeit gerade ist es, die in den drei Staatswesen,
aus deren Vergleichung der allgemeine Begriff des Bundesstaates ent-
sprungen ist, die einschneidendsten Unterschiede herausgebildet hat.
Allerdings für die Einzelstaaten gilt infolge ihrer historischen
Priorität vor dem Centralstaat ausnahmslos der Grundsatz des Gleich-
gewichtes. Soweit ihr von der Kompetenz des Centralstaates freier
Wirkungskreis reicht, soweit steht ihnen Gesetzgebung und Vollziehung
gleichmäfsig zu, soweit ist es Sache ihrer Verfassung und Gesetz-
gebung, in freier Erwägung des Notwendigen und Nützlichen die Re-
gierungsgewalt ihren Aufgaben entsprechend zu gestalten. Dagegen
ist es die eigentümliche Gestaltung der Regierungsgewalt des Gesamt-
staates auf dem Gebiete der ihm zugewiesenen Verwaltungszweige und
in ihrem Verhältnis zu den Einzelstaaten, welche an einer obersten
Stelle die Charakteristik der_drei Bundesstaaten je in ihren Besonder-
heiten ausmacht.
Die Unionsverfassung Amerikas hat essich nach den all-
seitigen Erwägungen und den zielbewulsten Berechnungen ihrer Gründer
zur Hauptaufgabe gemacht, den Grundsatz des Gleichgewichtes auf
beide Staatswesen in reiner, rücksichtsloser Durchführung anzuwenden!.
Der beherrschende Grundsatz der Verfassung — a.1. s.8, 17 —
ist es hier, dafs der Union das Recht zusteht, im Wege der Gesetz-
gebung, soweit die Verfassung nicht durch Organisation und Kompetenz
ı Hänel, Die Unionsverfassung, in Hirths Annalen 1878 S. 796 ft.
Curtis, History of the eonstitution II S1ff. 65 ff. 373 ff. 376 ff. Rüttimann,
Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht I 269 ff. The Federalist No. 15. 16,
beide von Hamilton. Bryce, American commonwealth I 424 ff. 432 ff. (2. Aufl.)