$ 835. Die grundsätzliche Gestaltung der Regierungsrechte des Reiches. 235
durch die ‘Specialisierung derjenigen Regierungsrechte,
welche dem [Reiche als seine formellen Kompetenzen behufs Ver-
wirklichung der ihm gestellten Verwaltungsaufgaben zustehen. Und
zwar sind diese beschränkt und begrenzt auf Beaufsichtigung
und Gesetzgebung.
Damit tritt die Reichsverfassung in einen scharfen Gegensatz zu
den Verfassungen der Einheits- und Einzelstaaten, wie denn auch zu
der des amerikanischen Bundesstaates, welche alle zwar in ver-
schiedenen Wendungen, aber darum nicht minder in unzweideutiger
Weise der Funktion der Gesetzgebung die andere Funktion der Voll-
ziehung oder — in der organisatorischen Dreiteilung — der voll-
ziehenden und richterlichen Gewalt als notwendige Attribute des
Staates zur Seite stellen. Wird an ihrer Stelle dem Reiche nur die
besondere und eigentümliche Thätigkeit der Beaufsichtigung zu-
geschrieben, so klafft eine Lücke. Aber gerade das ist die recht eigent-
liche Absicht der Reichsverfassung, in die Lücke, welche die Rechts-
sphäre des Reiches aufweist, die Rechtssphäre der Einzelstaaten ein-
rücken zu lassen. Gerade hierdurch werden die letzteren berufen,
mit ihrer Regierungsgewalt die Regierungsgewalt des Reiches zu er-
gÄnzen.
Und so tritt im deutschen Staatswesen dem Grundsatze der Ver-
teilung der Staatsaufgaben zwischen dem Centralstaat und den Einzel-
staaten, die jedem Bundesstaate notwendig ist, der andere, besondere
und eigentümliche Grundsatz zur Seite, dals auf den dem Reiche
zugewiesenen Kompetenzgebieten weiterhin eine Ver-
teilung der Regierungsgewalt zwischen dem Reiche
und den Einzelstaaten stattfindet.
II. Aber R.V. a. 4 ist nur Grundsatz und Regel. Er empfängt
anderweitig Ergänzung und Wandel.
Ergänzt wird er durch eine andere allgemeine Bestimmung,
welche den beiden an die Spitze gestellten formellen Kompetenzen des
Reiches ein Recht der Verordnung hinzufügt.
Eine Wandelung wird bewirkt durch die besonderen Be-
stimmungen, welche — abgesehen von späteren Specialgesetzen —
ihren Sitz in den detaillierenden Abschnitten (VI und folgenden) der
Verfassungsurkunde haben. Durch sie wird der Grundsatz und die
Regel aufser Anwendung gesetzt behufs Erweiterung und Verstärkung
der Regierungsgewalt des Reiches. Der Gesetzgebung und Verord-
nungsgewalt treten alsdann nicht mehr oder nicht mehr ausschliefslich
die „Beaufsichtigung“, sondern Befugnisse der Vollziehung zur Seite,