242 II. Buch. Die Reichsgewalt.
Reichskompetenz erhalten blieb, wenn freilich auch nur in irgend
welcher Konkurrenz mit dem Reiche.
Unter diesen Voraussetzungen ergiebt sich ein Verhältnis der
Gesetzgebung des Reiches zu der Gesetzgebung der
Einzelstaaten, welches unter einem doppelten Gesichtspunkte der
näheren Feststellung bedarf.
Welche Bedeutung, so fragt es sich zunächst, hat die dem Reiche
zugeschriebene Kompetenz zur Gesetzgebung? hat sie eine unmittel-
bare, die Gesetzgebung der Einzelstaaten ausschliefsende Wirkung oder
wird ihre Wirkung auf die letztere erst bedingt durch einen Akt
ihrer Ausübung?
Aber auch die rechtliche Wirkung eines Ausübungsaktes der
Reichsgesetzgebung kann die Alternative der blofsen Subsidiarität oder
die der Unbedingtheit aufweisen; diese nach dem Satze: „Reichsrecht
bricht Landrecht“, jene nach dem umgekehrten Satze: „Landrecht
bricht Reichsrecht“.
3. Endlich — die Zwischenstellung der Einzelstaaten begründet
die Möglichkeit, dafs die Gesetzgebung des Reiches eine Gesetzgebung
für die Gesetzgebung der Einzelstaaten ist.
| Aber dies wiederum in einem doppelten Sinne.
Die Gesetzgebung des Reiches kann dadurch eine Erweiterung
und Verstärkung im Vergleiche mit der Gesetzgebung des Ein-
heitsstaates erfahren, dals sie, als übergeordnete Autorität, bindende
Rechtsregeln für die Ausübung der einzelstaatlichen Gesetzgebung fest-
zustellen vermag.
Oder umgekehrt — die Gesetzgebung des Reiches könnte auch
die bedeutsame Beschränkung aufweisen, die freilich ihre begriffliche
Natur in Frage stellen würde, dafs ihre Wirkung sich nur auf die
Einzelstaaten als solche erstreckt und dafs sie darum auf die Auto-
rität der letzteren angewiesen bleibt, damit ihre Vorschriften Rechts-
verbindlichkeit für Behörden und Unterthanen gewinnen.
Das Zutreffen oder der Mangel gerade dieser Beschränkung ent-
scheidet an letzter Stelle, ob der gleichen Bezeichnung der Funktion
des Reiches als „Gesetzgebung“ auch die sachliche Gleichartigkeit mit
der Gesetzgebung des Einheits- oder des Einzelstaates entspricht, ob
mithin das Reich durch seine Gesetzgebung im vollen und eigentlichen
Wortsinne das wesentliche Merkmal eines Staates an sich trägt oder
ob das nicht der Fall ist.
Erst der Zusammenhalt aller dieser einzelnen Bestimmungen aber
mit dem ersten abgrenzenden Grundsatze ergiebt. das volle Bild der
Kompetenz des Reiches zur Gesetzgebung.