8 37. Die formelle Selbständigkeit u. d.territoriale Unbeschränktheitete. 245
Anspruch nimmt als die einer schlichten, d. h. der thatsächlichen
Kenntnisnahme und Verbreitung dienenden Bekanntmachung, ist recht-
lich irrelevant*. Aber sie ist nicht nur dies. Jede autoritatis inter-
positio, jeder Versuch des Einzelstaates, die Rechtsverbindlichkeit
eines Reichsgesetzes seiner Absicht zuwider für irgend jemand, für
seine Beamten oder Unterthanen, von irgend einem seiner Akte, von
einer gesetzgeberischen Reproduktion, von einer Publikation oder In-
sinuation oder von einem irgendwie gewandten Befehle der Befolgung
abhängig zu machen, ist eine Verletzung der Verfassung. Denn nach
derselben genügt es nicht, dals der Inhalt der Reichsgesetze gelte
und verbindlich sei, sondern die Reichsverfassung fordert, dafs die-
selben gelten und verbindlich sind in der Form der Reichsgesetze,
das heilst in Anerkennung der Rechtsmacht des Reiches, aus-
schliefslich und allein kraft seiner Autorität.
I. Wie die Selbständigkeit, so bringt die Reichsverfassung auch
die territoriale Unbeschränktheit der Reichsgesetzgebung im
Verhältnis zu den Einzelstaaten zur Geltung. R.V. a. 2 besagt:
„Innerhalb dieses Bundesgebietes“ — wie es in dem
vorhergehendem a. 1 in seinem Bestande durch Aufzählung der
Einzelstaaten festgestellt worden ist — „übt das Reich das-Recht
der Gesetzgebung — — — aus.“
Aus den verschiedenen rechtlichen Funktionen, welche das Gebiet
für das Staatswesen ausübt, wird hier nicht die selbstverständliche,
nach auswärts, auf die Ausschliefsung jeder fremden Macht gerichtete,
sondern vielmehr die für.die innere Wirksamkeit der Staatsgewalt
wesentliche Bedeutung herausgehoben. Und zwar bestimmt sich die-
selbe durch ein Doppeltes.
1. Für das Gesetzgebung srecht des Reiches wird das räum-
liche Geltungsgebiet schlechthin durch das Bundesgebiet begrenzt
und inhaltlich bezeichnet. Während für die vollziehende Gewalt nach
der organisatorischen Rechtsstellung der Einzelstaaten die Gebiete der-
selben territoriale Gliederungen darstellen, an welche dem Grundsatz
und der Regel nach das Reich gebunden ist, so ist dies für die gesetz-
gebende Gewalt nicht der Fall. Dieselbe ist durch Rücksichten auf
das Gebiet der Einzelstaaten rechtlich nicht beschränkt.
Das Reich ist befugt zu Gesetzen, welche das gesamte Bundes-
gebiet als ihren Geltungsbereich umfassen. Es ist aber nicht minder
befugt zu Gesetzen, deren Geltungsbereich nur durch das Gebiet eines
* Laband, Staatsrecht I 561. 615. 616.