250 II. Buch. Die Reichsgewalt.
lassenen Reichsgesetzes bestimmt, aulser Wirksamkeit
zu setzen. Das Recht zur Landesgesetzgebung wird durch den Akt
der Reichsgesetzgebung und im Umfange desselben nicht blofs in einem
einzelnen Erzeugnis aufgehoben, nicht blols gehemmt, es empfängt
nicht blofs eine Direktive, sich des von der Reichsgesetzgebung be-
setzten Platzes nicht zu bemächtigen, sondern dasselbe wird als
rechtliches Können, als verfassungsmälsige Kompetenz
des Einzelstaates vernichtet. Jedes Reichsgesetz, an welche
Adresse sich auch dasselbe nach seinem besonderen Inhalt richte, ist
darum zugleich Bethätigung der Herrschaft, der Suveränetät des
Reiches über die Einzelstaaten.
Auch hierbei, bei dem Vorgehen der Reichsgesetze in diesem
vollen Sinne, hat das Wort „Landesgesetze“ eine weitere Bedeutung.
Es bezeichnet nicht nur die Ausflüsse der konstitutionellen Gesetz-
sebung, sondern auch jedes Verordnungsrechtes. Es befalst auch
zweifellos und unbestritten jede im Landesrechte anerkannte Art der
„Autonomie“, mag dieselbe irgendwelchen Familienverbänden oder
gewissen Körperschaften zustehen. Auch diese Befugnisse zur Er-
zeugung objektiven Rechtes werden durch die entgegenstehenden Akte
der Reichsgesetzgebung aufgehoben. Dagegen trifft dasselbe für das
Gewohnheitsrecht nicht zu. Denn hierbei handelt es sich nicht
darum, der rechtserzeugenden Autorität des Reiches gegenüber jeder
anderen zur Rechtserzeugsung befähigten Autorität eine übergeordnete,
vorgehende Autorität zu verschaffen — und nur hierauf zielt R.V. a. 2.
Bei dem Gewohnheitsrecht vielmehr handelt es sich um die ganz
andere, allgemeine, von dem Verhältnis der rechtserzeugenden
Autoritäten untereinander ganz unabhängige Frage, ob, unter
welehen Voraussetzungen und mit welcher Wirkung neben der
autoritativen Rechtserzeugung jene andere Art der Rechtserzeugung
Anerkennung findet, welche auf dem Prozesse freier Anpas-
sung der an der Rechtsordnung Beteiligten — und zu diesen Be-
teiligten gehört in seinem Wirkungskreise der Staat selber — beruht.
Hierüber Entscheidung zu treffen, ist das Reich kraft seiner Gesetz-
gebung und im Bereiche derselben zweifellos befugt. Allein R.V.a. 2
selbst und unmittelbar hat diese Entscheidung nicht getroffen und
nicht treffen wollen. Solange daher die Reichsgesetze keine ein-
schlagenden Bestimmungen aufweisen, wie das Handelsgesetzbuch a. 1,
solange bleibt das sonst in Deutschland geltende positive Recht mals-
gebend. Dieses entscheidet trotz seiner partikularrechtlichen Zer-
splitterüng, ob gegenüber den Gesetzen, auch wenn es Reichsgesetze
sind, dem Gewohnheitsrecht eine abändernde oder 'ergänzende Kraft