Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

254 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
Kompetenz des Reiches fiel, blieb auch nach Erlals der Reichsver- 
fassung in seiner Geltung und in seinem Geltungsgrunde unberührt. 
Aber auch das subjektive Recht der Einzelstaaten zur Gesetz- 
gebung ist in gleicher Weise durch R.V. a. 2 nicht getroffen. Es 
bleibt, wie ihr Verordnungsrecht, wie die partikularrechtliche Autonomie, 
bestehen. Es hat nach wie vor und bis zum Eingreifen der gesetz- 
geberischen Akte des Reiches die Kraft, das bestehende Recht auch 
auf den Kompetenzgebieten des Reiches aufzuheben und umzugestalten, 
ohne dals es hierfür irgend einer besonderen Ermächtigung des Reiches 
bedarf. Und wie diese Rechtsstellung der Einzelstaaten aus dem Wort- 
laut der R.V. a. 2 hervorgeht, so hat sie „als unbestritten“ noch eine 
besondere Anerkennung in a. VI des bayrischen Schlulsprotokolls vom 
23. November 1870 gefunden. Damit ist aber eine Konstruktion, 
welche das auch auf dem Gebiete der Reichskompetenz fortdauernde 
Recht der Landesgesetzgebung als ein vom Reiche irgendwie, in seiner 
Entstehung oder Ausübungsweise, abgeleitetes betrachtet!, ohne jeden 
im positiven Rechte nachweisbaren Grund. 
2. Aus der grundsätzlichen Natur des Gesetzgebungsrechtes als 
einer Ermächtigung folgt des weiteren, dafs das Reich diese seine Be- 
fugnis sowohl dem Umfange als auch der Wirkung nach im Vergleich 
mit der Fülle seiner Rechtsmacht zu beschränken und damit der 
Landesgesetzgebung eine grölsere Wirksamkeit zu belassen vermag”. 
a. Dem Umfange nach hängt es von den freien Erwägungen 
des Reiches ab, wieweit es einen seiner Kompetenz unterliegenden Gegen- 
stand vollständig oder unvollständig gesetzgeberisch ordnen 
will. Unvollständig ist aber die Reichsgesetzgebung im Vergleich mit 
der Kompetenzfülle, wenn sie den Gegenstand nur teil- oder stück- 
weise oder wenn sie ihn nur einseitig regelt. So mag es im 
ersteren Falle aus dem umfassenden Kompetenzgebiet, dessen Gegenstand 
das bürgerliche Recht ist, nur das Genossenschaftsrecht herausgreifen 
oder es mag im zweiten Fall für einen Gegenstand nur die materiellen 
Rechtssätze feststellen, während es die damit verknüpften strafrecht- 
lichen, prozessualischen, organisatorischen Regelungen auf sich beruhen 
lälst. Überall da nun, wo die Reichsgesetzgebung unvollständig ist, 
bleibt das von ihren Bestimmungen nicht getroffene Gebiet der Reichs- 
kompetenz für die Ergänzung durch die Landesgesetz- 
gebung offen. 
ı Zorn, Staatsrecht d. deutschen Reiches I 61. 
2 S. die grundlegende Abhandlung von Heinze, Das Verhältnis des 
Reichsstrafrechtes zu dem Landesstrafrecht, 1871, und alsdann Laband, 
Staatsrecht d. deutschen Reiches I 619 ff.
	        
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