$ 39. Die Reichsgesetzgebung als Ermächtigung. 957
aber mit dem Inkrafttreten des Reichsgesetzes, so bedarf es einer be-
sonderen Ermächtigung für die Landesgesetzgebung nicht.
b. Wie ihren Umfang, so kann die Reichsgesetzgebung auch die-
jenige Wirkung, welche ihr dem Grundsatze nach beiwohnt, durch
eine besondere und aufserordentliche Bestimmung beschränken.
Der Hauptfall ist die Subsidiarität der Reichsgesetzgebung.
Hier wandelt sich die Regel, dals das erlassene Reichsgesetz den
Landesgesetzen vorgeht, in die Ausnahme um, dals die Landesgesetze
dem Reichseesetze vorgehen. Das Reichsgesetz soll und will nicht
absolut, sondern nur bedingt gelten, nämlich wenn nicht das
Landesgesetz anderes bestimmt”.
Aber diese Subsidiarität ist einer verschiedenen Abstufung fähig.
Das Reichsgesetz kann es zur Absicht haben, nicht nur das bei
seinem Erlafs geltende Landesrecht, sondern auch das Recht zur
Landesgesetzgebung fortbestehen zu lassen, dergestalt, dals dieselbe
berufen bleibt, den durch nur subsidiäres Reiehsgesetz berührten
Gegenstand anderweitig zu ordnen. So, des Beispiels halber; ist $ 1
der Gewerbeordnung, welcher die Freiheit des Gewerbebetriebes grund-
sätzlich anordnet, subsidiär überall da, wo der Landesgesetzgebung
gestattet wird, der reichsgesetzlichen Unbeschränktheit zuwider, den
Betrieb einzelner Gewerbe von Prüfungen, Genehmigungen, Bedürfnis-
nachweisen abhängig zu machen — $S 30a. 33. 34. 42b —; so
sind subsidiär alle Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und
der Prozefsordnungen in Rücksicht auf solche bürgerliche Rechts-
streitigkeiten und Strafsachen, für welche besondere Gerichte zu-
gelassen sind — Eg. Gvg. a.3; Eg. Strpr.O. a. 3; Eg. Civpr.O.a.3 —; so
ferner die Bestimmungen der Civilprozeisordnung über das Aufgebots-
verfahren nach Eg. Civpr.O. a. 11.
Die Reichsgesetzgebung kann aber auch nur in dem Malfse sub-
? Solange und soweit diese Bedingung nicht eintritt, gilt auch das sub-
sidiäre Reichsgesetz ausschliefslich kraft der Autorität des Reiches und nicht
blofs, weil die Autorität des Einzelstaates seine Geltung zulälst. Daher hat
kein Einzelstaat das Recht, die Geltung eines subsidiären Reichsgesetzes von
seiner Publikation abhängig zu machen oder dasselbe in seinem identischen
Inhalt zu wiederholen oder zu bestätigen, wie Heinze, Verhältnis S. 86,
meint. Vielmehr ist sein Recht beschränkt auf den Fortbestand und die
Fortentwickelung seines partikulären Rechtes. Selbst eine authentische
Interpretation des Reichsgesetzes ist ihm der Sache nach nicht als solche,
sondern nur als authentische Interpretation seines Landesrechtes gestattet,
die ihm durch die Rücksicht auf den zweifelhaften Sinn des Reichsgesetzes
geboten erscheint, die darum der Form nach die Beziehung auf das Reichs-
gesetz nicht leicht vermeiden kann.
Binding, Handbuch. V. 1: Hänel, Staatsrecht. 1. 17