8 41. Die Leitung der Reichsgesetzgebung. 263
Das hat, wie schon die Reichsverfassung selbst in einzelnen Be-
stimmungen, so der Gang der Reichsgesetzgebung überall zur Geltung
gebracht und zwar nach zwei Richtungen hin.
1. Das Recht der Ergänzung der Reichsgesetze durch die Landes-
sesetzgebung ist überall da zugleich verfassungsmälsige Pflicht des
Einzelstaates, wo der Stand des Partikularrechtes eine solche Ergänzung
für die Ausführung und die beabsichtigte Wirkung des Reichsgesetzes
erforderlich macht. Es ist dabei gleichgültig, ob das Reichsgesetz die
partikularrechtliche Ergänzung stillschweigend voraussetzt oder auf die-
selbe ausdrücklich verweist und ob der Hinweis in die Form eines
Vorbehaltes oder einer Ermächtigung oder einer Anweisung gekleidet
ist. Wenn, um aus der Fülle der einschlagenden Bestimmungen ein-
zelne Beispiele herauszugreifen, die Reichsgesetze bei ihren materiellen
Bestimmungen die Organisation gewisser Behörden oder Kommunal-
verbände voraussetzen und diese der Landesgesetzgebung zuschreiben
— Einquartierungsgesetz vom 25. Juni 1868 3 7, Unterstützungs-
wohnsitzgesetz vom 6. Juni 1870 8 8, Strandungsordnung vom 17. Mai
1874 S 2 —, wenn die Reichsgesetze gewisse Malsregeln anordnen,
an welche sie Entschädigungsansprüche knüpfen oder für deren
Durchführung sonstige ergänzende Bestimmungen über Verfahren,
Kosten und anderes erforderlich sind, aber die nähere Regelung
derselben den Landesgesetzen überweisen — Gewerbeordnung $ 8,
Impfgesetz vom 8. April 1874 $ 18, Viehseuchengesetz vom 23. Juni
1880 8 2, Reblausgesetz vom 3. Juli 1883 8 12 —, wenn das Gerichts-
verfassungsgesetz nach Malsgabe des a. 8 den Landesgesetzen die Be-
stimmung überweist, aus welchen Gründen und unter welchen Formen
ein Richter seiner Stellung enthoben werden kann, wenn die Civil-
prozelsordnung aa. 757. 811 der landesgesetzlichen Regelung die
Zwangsvollstreckung und Arrestvollziehung in das unbewegliche Ver-
mögen überlälst, so kann in allen diesen Fällen keine Rede davon
sein, dals es der Willkür der Landesgesetzgebung preisgegeben sei, ob
sie die geforderten Ordnungen gewähre oder nicht. Vielmehr ist es
das verfassungsmälsige, nötigenfalls im Wege der Exekution durch-
zusetzende Recht des Reiches gegenüber der Landesgesetzgebung, dafs
sie die. geforderte Ergänzung bewirke und dals sie auch ihrem In-
halte nach sich als solche darstelle. Nur innerhalb dieser Grenzen
waltet das freie legislatorische Ermessen des Einzelstaates.
2. Aber auch dieses freie Ermessen kann verschränkt werden:
Das Reich ist nicht nur berechtigt, die ergänzende Landesgesetzgebung
zu einer allgemeinen Pflicht zu machen, sondern auch die näheren Be-
stimmungen zu treffen, die genaueren Malsgaben vorzuschreiben, welche