Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

266 H. Buch. Die Reichsgewalt. 
bestimmungen“, „Übergangsbestimmungen“, „Anordnungen“ den 
„Finzelstaaten“ oder „Bundesstaaten“ oder den „Regierungen“ ? zu- 
schreiben, so spricht keinerlei Vermutung dafür, dafs den Einzelstaaten 
damit ein Verordnunesrecht gewährt werden soll, welches denselben 
nach ihrer Verfassung nicht zusteht. 
Allerdings kann die Reichsgesetzgebung auch weiter gehen und 
sie ist in vielen Fällen, sowohl wenn es sich um ihre Ergänzung, als 
bei Subsidiarität um ihren Ersatz handelt, weiter gegangen. Sie hat 
den Einzelstaaten, den „Regierungen“ ausdrücklich oder mit genügender 
sonstiger Deutlichkeit ein Verordnungsrecht zugeschrieben und 
zwar in der Absicht und mit der Wirkung, dafs dasselbe unabhängig 
von der Landesverfassung und also auch gegen dieselbe Geltung hat. 
So z. B. die Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 8 109, das 
Eg. Gvg. $ 17, Strfpr.O. $ 39, Civpr.O. 8 16, und insbesondere die 
Gewerbeordnung, welche in zahlreichen Wendungen Verordnungsrechte 
bald den „Landesregierungen* — $8 33. 34. 105 —, bald den 
„Centralbehörden“ — 88 38. 80 —, bald den „höheren Verwaltungs- 
behörden* — 88 28. 42b —, bald den „Polizeibehörden“ — $S 37. 
69. 73fl. — zuteilt. Allein in allen diesen Fällen handelt es sich 
nicht mehr um das verfassungsmälsige, eigene Recht der Einzelstaaten 
auf Ergänzung oder — bei Subsidiarität — auf Ersatz der Reichs- 
gesetze, sondern un: ein ihnen von dem Reiche delegiertes Ver- 
ordnungsrecht, welches die Einzelstaaten ihrerseits nur kraft der 
Autorität, kraft der Specialermächtigung und in Vertretung des Reiches 
ausüben und welches das Reich seinerseits unter den allgemeinen 
Voraussetzungen, unter denen es sein Gesetzgebungsrecht in der Form 
der Verordnung ausüben und übertragen darf, auch den Einzelstaaten 
und deren Behörden verleihen kann°. 
2 Dals da, wo den „Regierungen“ ergänzende Bestimmungen über- 
lassen werden, dies nicht notwendig auf ein Verordnungsrecht gedeutet 
werden mulfs, ergiebt sich daraus, dafs einerseits, um diese einseitige Deutung 
auszuschliefsen, dem Worte „Landesregierungen“ in der Strandungsordnung 
vom 27. Juli 1874 8 2, im Seeunfallsgesetz vom 27. Juli 1877 8 6 auf Amen- 
dement des Reichstages der Zusatz gegeben wurde: „nach Mafsgabe der Landes- 
gesetze“, und dafs andererseits, wo das Verordnungsrecht beabsichtigt ist, dem 
Worte „Landesregierungen“ der andere Zusatz „im Verordnungswege* zu- 
gefügt ist. Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 $ 109. Abweichender 
Ansicht in Anschlufs an Erkenntnisse des preulsischen Oberverwaltungsgerichtes 
— Entscheidungen II 292, VI 272 — Seydel in Hirths Annalen 1881 S. 597. 
8 Rosin, Polizeiverordnungsrecht S. 44ff. Seydel in Hirths Annalen 1874 
S. 1143 ff.
	        
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