Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

268 I. Buch. Die Reichsgewalt. 
Hiervon ist es vollkommen verschieden, hiermit steht es aulser 
allem und jedem Zusammenhang, dafs die Reichsgesetze ihrem Inhalte 
und ihrer Absicht nach Rechtsverbindlichkeiten auch für die Einzel- 
staaten erzeugen. Da dieselben wesentliche Glieder in dem Ver- 
fassungsaufbau des Reiches sind, so ist es selbstverständlich und not- 
wendig, dafs auch ihre Funktionen, ihre Rechte und Pflichten in 
mannigfacher Rücksicht den Regelungen von Reichs wegen unterliegen. 
Und zwar muls dies in um so weiterem Umfange geschehen, je mehr 
das Reich auf dem Gebiete seiner Kompetenz der Vollziehung und 
der ergänzenden Gesetzgebung der Einzelstaaten Raum lälst. Aber 
wie hier die Regelungen des Reiches für die Einzelstaaten, als die es 
angeht, Rechtsverbindlichkeit gewinnen unmittelbar, d. h. kraft der 
Autorität des Reiches, und nicht bedingt durch irgend welches Mit- 
wirkungsrecht irgend eines partikularen Organes, so gewinnen genau 
in der nämlichen Weise alle Reichsgesetze, welche nach Inhalt und 
Absicht die Rechte und Pflichten anderer Rechtssubjekte: der Be- 
hörden, der Individuen, der korporativen Verbände regeln, Rechts- 
verbindlichkeit für dieselben unmittelbar, d. h. ohne die rechtliche 
Notwendigkeit oder auch nur Zulässigkeit irgend eines vermittelnden 
Willensaktes der Einzelstaaten . Alle Angehörigen des Reiches 
schulden den Reichsgesetzen, die sie angehen, unmittelbaren, durch 
die Zwischenstellung keiner anderen Autorität bedingten Gehorsam. 
Und die Unterthanen leisten diese Gehorsamspflicht gegenüber dem 
Reiche selbst dann, wenn sie nach dem Inhalt seiner Gesetze zum 
Gehorsam gegen ihren eigenen Einzelstaat angewiesen werden. Damit 
sind denn hier überall die Einzelstaaten nicht „mediatisiert“, sie bilden 
nicht irgend ein „Medium“ für die Unterthänigkeit unter das Reichs- 
gesetz?, sondern sie sind in Rücksicht auf die Reichsgesetzgebung und 
die ihr innewohnenden Rechtswirkungen aufser alle und jede Funktion 
gesetzt. 
Diese Unmittelbarkeit der Reichsgesetzgebung nun aber ist für 
die Behauptung der rechtlichen Machtstellung des Reiches von ein- 
schneidendster Bedeutung. 
l. In ihr ist es enthalten, dafs das „Vorgehen“ des objektiven 
2 Nur wenn in irgend einer Weise ein die Rechtsverbindlichkeit ver- 
mittelnder Willensakt der Einzelstaaten notwendig oder zulässig wäre, könnte 
man mit Laband, Staatsrecht d. deutschen Reiches I 75 sagen: „Dieser — 
durch die Reichsgesetzgebung — erzeugte Rechssatz bindet nicht blofs die 
Staaten, sondern auch die Individuen, welche den Einzelstaaten angehören, 
und zwar gerade darum, weil sie ihnen angehören“. 
® Entgegen Laband, Staatsrecht d. deutschen Reiches I 128.
	        
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