Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

294 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
Daraus folgt aber auch, dals die Einzelstaaten nicht nur be- 
rechtigt, sondern dafs sie verpflichtet sind, selbständig und unab- 
hängig von den Beschlüssen des Reiches alle diejenigen „Verwaltungs- 
vorschriften und Einrichtungen“ zu treffen, welche nach der Rechts- 
lage und nach den thatsächlichen Verhältnissen in den Einzelstaaten 
erforderlich sind, um die Reichsgesetze zur Ausführung zu bringen!. 
Demgemäls wird auch im ganzen Umkreis der Reichsgesetzgebung, 
soweit nicht durch besondere Verfassungsbestimmungen ein aus- 
schlielsliches Verordnungsrecht des Reiches Platz greift, verfahren. 
Selbst die verfassungsmälsige Ausschliefslichkeit der Gesetzgebung 
bewirkt zwar die Ausschlielsung jedes gesetzvertretenden, nicht aber 
die Ausschliefsung des Vollzugs-Verordnungsrechtes der Einzelstaaten?. 
Dieses Recht und diese Pflicht der Einzelstaaten wird, ebenso 
wie dies für die Gesetzgebung gilt, erst aufgehoben durch die Aus- 
übung der Kompetenz seitens des Reiches. 
Ausübung der Kompetenz ist es selbstverständlich, wenn das 
Reich thatsächlich die zur Ausführung des Reichsgesetzes erforder- 
lichen Beschlüsse fafst. Nach ihnen steht den Einzelstaaten der Erlafs 
der Verordnungen nach eigenem Ermessen nicht mehr zu, und sie sind 
verpflichtet, die etwa bereits erlassenen Verordnungen mit ihnen in 
Übereinstimmung zu bringen. 
Aber gemäfs des Grundgedankens der R.V. a. 7, 2, welcher auf 
die planmälsige und einheitliche Leitung des einzelstaatlichen Ver- 
ordnungsrechtes zielt, muls es auch als Ausübung der Kompetenz 
gelten, wenn das auszuführende Reichsgesetz die Absicht bekundet, 
dafs der Ausführung desselben durch die Einzelstaaten die Beschlüsse 
des Reiches vorausgehen sollen. Denn ohne die hemmende Wirkung 
eines solchen Vorbehaltes würde die leitende Befugnis des Reiches, 
‘die sein verfassungsmäfsiges Recht ist, zu einem Rechte nachträglicher 
Korrektur herabgesetzt. Und zwar wird. jene vorbehaltende Absicht 
insbesondere dann vermutet werden müssen, wenn das Reichsgesetz 
den Erlafs auch der Ausführungsbestimmungen, zu denen ohne be- 
sondere Ermächtigung R.V. a. 7,2 berechtigen würde, durch den 
Bundesrat oder durch ein sonstiges Reichsorgan noch ausdrücklich 
anordnet. 
ı Z. B. preufsische Ausführungsbestimmungen zur Seemannsordnung bei 
Gaupp, Gesetzgebung II 966. 
2S. Laband, Staatsrecht d. deutschen Reiches H 925 ff. Undeutlich 
Seydel in Hirths Annalen 1876 S. 13 Note 1. S. jedoch Bayerisches Staatsrecht 
II 611. Unrichtig Arndt, Verordnungsrecht S. 88.
	        
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