296 IL. Buch. Die Reichsgewalt.
ordnungen entweder ausdrücklich stützt oder aus denen sie doch ihrer
sachlichen Beziehung nach abgeleitet werden können und müssen.
Das auf diesen Speecialklauseln der Gesetze beruhende Verord-
nungsrecht greift weit über die Begrenzungen hinaus, welche R.V.
a. 7,2 enthält.
Nach Form und Wirkungen beanspruchen und erlangen die
Verordnungen vielfach die Natur eines unmittelbaren Verordnungs-
rechtes, selbst dann, wenn sie vom Bundesrat als dem zu ihrem Erlafs
berechtigten Subjekt ausgehen. Das Hauptzeichen hierfür ist ihre
Verkündigung von Reichs wegen im Reichsgesetzblatt. Alles unmittel-
bare Verordnungsrecht «des Reiches aber stellt eine mit dem Verord-
nungsrecht des Einheitsstaates vollkommen gleichartige Funktion dar.
Ihrem Inhalte nach haben die auf den gesetzlichen Speeial-
klauseln beruhenden Verordnungen vielfach nichts weniger als „zur
Ausführung der Gesetze erforderliche Verwaltungsvorschriften
oder Einrichtungen“ zum Gegenstande, sondern sie bilden wahre Er-
gänzungen der Gesetze oder sie sind contra legem, d.h. sie regeln
unter zutreffenden Voraussetzungen gewisse Thatbestände durch Rechts-
sätze, welche von den gesetzlichen Bestimmungen abweichen und
denselben widersprechen ?.
?2S. Laband, Staatsrecht d. deutschen Reiches I 593, insbesondere
Note 1. — Das Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 bestimmt in $ 46:
„Aller im freien Verkehr befindliche Branntwein unterliegt nach näherer Be-
stimmung des Bundesrates der Verbrauchsabgabe in Form einer Nachsteuer
von 0,30 M. für das Liter reinen Alkohols“. Hiernach gehört das „Branntwein-
Nachsteuer-Regulativ‘ — Anlage X der Ausführungsbestimmungen vom
27. Sept. 1887, C.Bl. S. 491 —, welches seinem Inhalte nach schon um der
Konstituierung von Anmeldepflichten willen Rechtsverordnung ist, den zur
Ausführung des Gesetzes erforderlichen Verwaltungsvorschriften im Sinne
R.V. a. 7,2 an. Anders aber verhält es sich, wenn das Zuckersteuergesetz
vom 9. Juli 1887 bestimmt, $ 3: „Der Bundesrat ist ermächtigt, sonst steuer-
freie Abläufe der Zuckerfabrikation mit der vollen oder einer ermäfsigten
Verbrauchsabgabe zu belegen und die zur Sicherung der Abgabe erforder-
lichen Anordnungen, insbesondere wegen Ausdehnung der Steuerkontrolle auf
die Sirupraffinerieen zu treffen“; $ 39: „der Bundesrat kann die Vorschriften
auf Sirupraffinerieen etc. -—- auf Saccharinfabriken erstrecken“ — vgl. Beschlufs
vom 8. Juni 1888 und $ 112 der Ausführungsbestimmungen vom 28. Juni 1888,
C.Bl. S. 193 und 267 —; ferner wenn das Tabaksteuergesetz $ 27 bestimmt:
„Die Verwendung von Tabaksurrogaten bei der Herstellung von Tabak-
fabrikaten ist verboten. Ausnahmen hiervon kann der Bundesrat gestatten
und dabei über die nötigen Kontrollen, sowie über die bei der Verwendung
von Surrogaten zu entrichtenden Abgaben Bestimmung treffen“ — vgl. C.Bl.
1879 S. 753, 1880 S. 209, 1888 S. 750 —. In diesen letzteren Fällen handelt
es sich schlechterdings nicht mehr um Ausführung des Gesetzes im Sinne der