304 II. Buch. Die Reichsgewalt.
welchen dem Reich ein Recht zur Gesetzgebung beigelegt wird, dem-
selben das Recht der Beaufsichtigung auch dann zusteht, wenn das
letztere nicht ausdrücklich hervorgehoben ist, wie dies z. B. für die
Reichsgesetzgebung über die Post und Telegraphie in Bayern und
Württemberg nach R.V. a. 52 nicht geschehen ist!.
Umgekehrt folgt aus jenem Deckungsverhältnisse, dafs auf allen
den Verwaltungsgebieten, auf denen das Recht zur Reichsgesetzgebung
nicht aufgewiesen werden kann, die Einzelstaaten auch irgend welcher
Beaufsichtigung von seiten des Reiches nicht unterworfen sind. Nur
gilt hier der selbstverständliche, eine Ausnahme nicht begründende
Vorbehalt, dafs, soweit die verfassungsmälsigen Kompetenzen eine Rück-
wirkung auf die kompetenzfreien Verwaltungsgebiete ausüben, wie dies
z. B. die völkerrechtlichen Befugnisse auf die inneren Gesetzgebungs-
zweige der Einzelstaaten zutreffenden Falles thun, soweit auch die
Beaufsichtigung des Reiches sich erstreckt.
II. Die Beaufsichtigung im Sinne der R.V. a. 4 bewirkt ein
Rechtsverhältnis, in welchem die eigenberechtigte Ausführung gewisser
Staatsaufgaben das Recht des Beaufsichtigten, die Erfüllung derselben
das Recht des beaufsichtigenden Subjektes ist.
Die Feststellung dieser Aufgaben und damit die Bezeichnung des
Gegenstandes, auf welchen sich die Berechtigung zur Beaufsichtigung
bezieht, ist dem Begriff nach nicht ein Bestandteil der Beaufsichtigung
selbst. Vielmehr setzt dieselbe den Rechtssatz oder den Komplex von
Rechtssätzen voraus, welcher die Verpflichtungen des Beaufsichtigten
nach Umfang und Art begründet.
Die Frage nun aber, auf welcher Rechtsquelle der objektivrecht-
liche Malsstab, den die Beaufsichtigung des Reiches notwendig voraus-
setzt, beruht, wird durch die Reichsverfassung in eigentümlicher Weise
‘beantwortet. Der Malsstab ist ein doppelter.
1. Allerdings an erster Stelle wird er durch das den Einzelstaaten
übergeordnete Reichsrecht gebildet. Es sind die Verfassung und
die Gesetze, die Verträge und Verordnungen des Reiches. Überall,
wo dieselben nach ihrem näheren Inhalt entweder zu ihrer Aus- und
Durchführung einer weiteren einzelstaatlichen Thätigkeit bedürftig oder
wo sie durch eine solche der Hemmung fähig sind, bestimmen sie die-
jenigen Verpflichtungen der Einzelstaaten, welche den Gegenstand der
Beaufsichtigung des Reiches ausmachen.
ı Selbstverständlich hat dieser Satz insoweit keine Bedeutung, als dem
Reiche im Gebiete seiner Gesetzgebung weitergehende, die blofse Beauf-
sichtigung absorbierende Rechte der Vollziehung verfassungsmäfsig zuge-
schrieben sind.