Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

312 Il. Buch. Die Reichsgewalt. 
a. Sie verpflichtet zunächst den Einzelstaat zur Einlassung d. h. 
zur bindenden — daher erforderlichen Falles von: den zur Vertretung 
des Einzelstaates gegenüber dem Reiche in oberster Instanz legiti- 
mierten Organen abzugebenden — Erklärung, ob der Einzelstaat die 
Beanstandung für gerechtfertigt und sich zur Abhülfe verpflichtet hält 
oder ob dies nicht der Fall ist. 
b. Sie verpflichtet den Einzelstaat weiter, sich jeder Malsregel 
zu enthalten, welche der endgültigen Entscheidung vorgreift, insbe- 
sondere also bis dahin .auf Verlangen die vorläufige Aussetzung der 
Verfügung zu veranlassen. Eine Verletzung dieser Verpflichtung befugt 
das Reich zu exekutorischen Malsregeln vor, aber vorbehaltlich der 
Entscheidung in der Sache selbst ®. 
c. Endlich ist auch seinerseits das Reich verpflichtet, die Ent- 
scheidung über die bestrittene Beanstandung vor der zuständigen In- 
stanz herbeizuführen®. Diese aber ist, soweit nicht eine Delegation 
an eine andere administrative oder richterliche Behörde zugelassen ist, 
der Bundesrat. — 
Mit diesen Funktionen ist aber auch das Recht der Überwachung 
erschöpft. Zweifellos können dieselben nur ausgeübt werden durch 
Anordnungen und Verfügungen des Kaisers, die er selbst oder 
seine Aufsichtsbeamten treffen. Und darunter fallen auch kaiserliche 
Instruktionen an die Aufsichtsbeamten, soweit dieselben nicht den 
Gharakter allgemeiner Verwaltungsvorschriften im Sinne der R.V. a. 7,2 
annehmen. Nur ein darüber hinausgehendes Verordnungsrecht des 
Kaisers lälst sich in keinem Sinne aus seiner „Überwachung der Aus- 
führung der Reichsgesetze“ ableiten !*®. 
8 Dies ist grundsätzlich festgestellt im Bericht der Petitionskommission 
vom 1. Mai 1869 unter B — Sten. Ber. des Reichstages Anlage No. 155 —: 
„Auch folgt daraus das Recht des Bundespräsidiums — falls der Fall dazu 
geeignet erscheint — auch schon vor definitiver Entscheidung der Beschwerde 
die vorläufige Aussetzung der Ausführung zu veranlassen und so den Vollzug 
der angefochtenen Verfügung bis zur definitiven Entscheidung zu sistieren“. 
Der Bundeskommissar erklärte, dafs von dem Bundeskanzler nach diesen 
Grundsätzen über die Stellung des Bundespräsidiums zu den Organen der 
Landesregierung bei Ausübung des Aufsichtsrechtes über die Ausführung der 
Bundesgesetze bisher mit Erfolg verfahren sei, ohne dabei auf Schwierigkeiten 
bei den Landesregierungen zu stofsen. Auch bei der Beratung des Berichtes 
im Plenum erhob sich im Reichstag keinerlei Widerspruch. 
ıR.V. a. 36 al. 3. 
10 Die entgegengesetzte Ansicht insbesondere v. Mohls, Reichsstaatsrecht 
S. 169 f£., v. Rönnes, Staatsrecht d. deutschen Reiches I 214. 215, Hı 57 ff. und 
früher auch Zorns — Krit. Vierteljahrsschrift XVII 396 ff. — hat hinreichende 
Widerlegung gefunden durch Seydel — Hirths Annalen 1876 S. 11ff. —, 
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