$ 51. Die Beaufsichtigungsmittel. 817
zu handhaben oder selbst ein Gesetz zu erlassen. Es geschah dies,
wenn einerseits eine bestimmte Regelung einer der Reichskompetenz
unterliegenden Angelegenheit im Interesse des Reiches lag, anderer-
seits aber der formelle Weg der Reichsgesetzgebung aus irgend
welchem Grunde nicht angezeigt erschien ’?.
Derartige Beschlüsse sind allerdings gefalst in Veranlassung und
infolge der Beaufsichtigung — jedoch nur in jenem weiteren Sinne,
wonach dieselbe That- und Rechtsbestände behufs der Entscheidung
ermittelt, ob ein Eingreifen von Reichs wegen erforderlich ist oder
nicht. Und gerade deshalb haben dieselben im Mangel eines durch
Verfassung oder Gesetz begründeten Reichsverordnungsrechtes, das
aus der „Beaufsichtigung“ in irgend einem Sinne nicht abgeleitet und
ergänzt werden kann, entweder nur die Kraft einer Empfehlung oder
sie stellen eine Verständigung der Einzelstaaten dar, die im Schofse
des Bundesrates gepflogen wird. Niemals aber verpflichten sie den
dissentierenden Einzelstaat zur Unterwerfung unter den Majoritäts-
beschlufs des Bundesrates. Ja selbst der zustimmende Einzelstaat
kann jeder Zeit von der Verständicung, wenn sie sich nicht als Ver-
trag der Einzelstaaten untereinander darstellt, unter Berufung auf die
Notwendigkeit reichsgesetzlicher Regelung zurücktreten.
Eine gegenteilige, die bindende Kraft jener Beschlüsse behauptende
Auffassung würde im Widerspruch stehen mit dem als verfassungs-
mälsig anerkannten Rechte der Einzelstaaten, solange ihr partikulares
13 Dahin gehören z. B. der Bundesratsbeschlufs vom 11. Juli 1868, welcher
Bremen ersucht, für gewisse legislative Mängel des Auswanderungswesens
gesetzliche Abhülfe zu treffen — bremisches Gesetz vom 27. November 1868;
ferner Bundesratsbeschlüsse, welche den Erlals gewisser Polizeiverordnungen
empfehlen, über den Flöfsereibetrieb auf der oberen Saale — Sten. Ber. d.
Reichstages 1870 Anlagen No. 137 —, über den Verkehr mit Sprengstoffen
vom 13. Juli 1879, über die Verhütung der Gefährdung militärischer Pulver-
transporte vom 17. November 1884, die Bundesratsbeschlüsse über die pharma-
copoea germanica — Gaupp, Gesetzgebung II 751ff. —. Die in Anlafs der
Choleragefahr erlassenen übereinstimmenden Polizeiverordnungen der Seeufer-
staaten — s. preufsische Verordnung vom 5. Juli 1883 — über die gesundheits-
polizeiliche Kontrolle der deutsche Häfen anlaufenden Seeschiffe erfolgten auf
Anregung des Reichskanzlers und auf Grund einer Konferenz der betreffen-
den Regierungen im Reichsamt des Innern. — Dagegen gehören in diesen
Zusammenhang nicht die Bundesratsbeschlüsse vom 21. Dezember 1869 —
Gaupp, Gesetzgebung I 582 — und vom 25. Juni 1868 — ebenda I 683 —
über die den Eisenbahn- und Strafsenbauverwaltungen im Interesse der Reichs-
telegraphenverwaltung obliegenden Verpflichtungen. Diese entspringen viel-
mehr der besonderen Gestaltung des Reichsverordnungsrechtes im Gebiete der
Post- und Telegraphenverwaltung.