$ 55. Die allgemeine Gestaltung der Reichspflege. 351
Gliedstaat und das Verhältnis der Gliedstaaten untereinander zum
Gegenstande nimmt. Dadurch entsteht ein Verwaltungsgebiet für das
Reich. das Staatenpflege genannt werden mag. Sie bildet eine
durchaus eigentümliche Aufgabe des Reiches, die sich weder im Einheits-
noch im Einzelstaate wiederfindet. Nur das Verhältnis des Einheits-
oder Einzelstaates zu seinen Selbstverwaltungskörpern bildet eine
Analogie. Aber auch nur eine Analogie. Denn die Verschiedenheit
beider Erscheinungen ist so grols und so wesentlich, als der Unter-
schied zwischen dem Einzelstaate und den Selbstverwaltungskörpern.
Die Reichspflege und die Staatenpflege des Reiches einerseits und
die Staatspflege jedes Einzelstaates andererseits bilden hiernach Ver-
waltungsgebiete, die sowohl ihrem Gegenstande nach voneinander ver-
schieden als ihrem Subjekte nach voneinander getrennt sind. Zweifellos
können sie Rückwirkungen aufeinander ausüben und eigentümliche
Beziehungen zwischen dem Reiche und den Einzelstaaten erzeugen.
Aber beide laufen an sich nebeneinander her. Es besteht keine Kon-
kurrenz des Reiches und der Einzelstaaten für dasselbe Ver-
waltungsgebiet.
Eine solche Konkurrenz zwischen dem Reiche und den Einzel-
staaten findet erst auf dem Gebiete der Wohlfahrts- und der
Rechtspflege statt. Hier sind es dieselben Interessen des Volkes,
dieselben Aufgaben, die im Bundesstaate, wie im Einheitsstaate, nur
einmal den Gegenstand der Staatsverwaltung bilden können. Sie
lassen nur eine solche Verteilung zwischen dem Reiche und den Einzel-
staaten zu, dafs für ein und denselben bestimmten Verwaltungs-
gegenstand lediglich dem einen Teile entweder die ausschliefsliche
Kompetenz oder doch solche leitende Befugnisse zugeschrieben werden,
welche die mitwirkenden Befugnisse des anderen Teiles unterordnen
und in seinen Dienst stellen.
I. Abschnitt.
Die Reichspflege.
& 55.
Die allgemeine Gestaltung der Reichspflege.
I. Die Behauptung und Entwickelung des Staates selbst, die An-
eisnung, die Ordnung und die Handhabung teils der menschlichen
Kräfte in zweckgemälser Organisation, teils der psychologischen, wirt-