$ 55. Die allgemeine Gestaltung der Reichspflege. 333
Organisation beschliefsender Organe; ein vollziehendes Behördensystem
greift lediglich in den Einzelstaaten Platz.
Nur für die völkerrechtlichen Befugnisse, die eine Beziehung
auf das Verhältnis der Einzelstaatsgewalt zu ihren Unterthanen
nicht haben, spricht der Bund die Eigenschaft einer einheitlichen,
selbständig wirksamen Gesamtmacht an. Aber auch den Einzelstaaten
verbleibt die volle völkerrechtliche Persönlichkeit, nur dafs sie ver-
pflichtet sind, die daraus fliefsenden Befugnisse in Übereinstimmung
mit den Rechten und Interessen des Bundes auszuüben. Ja es ist
nicht ausgeschlossen, dafs der Bund im regelmälsigen Verlauf der
Dinge seinen Schutz und seine Vertretung thatsächlich nur in der
Handhabung der völkerrechtlichen Befugnisse durch die Einzelstaaten
sucht und findet.
In dem allen kommt der Typus des Staatenbundes zur
Geltung, wie ihn insbesondere der deutsche Bund aufwies.
III. Ihm steht der Typus des Bundesstaates gegenüber.
Wenn sich in ihm die Bundesgewalt zu einer wahren Staats-
gewalt gestaltet, so ist zwar nicht überall die Notwendigkeit — denn
es ist nicht ausgeschlossen, dals die verfassungsmälsige Zwischenstellung
der Einzelstaaten auch hier zur Geltung kommt —, aber es ist die
rechtliche Möglichkeit gegeben, dafs dem Bunde alle Rechte der
Staatspflege für seinen Wirkungskreis in der nämlichen Wirkungsweise,
wie sie der Einheitsstaat entfaltet, verfassungsmälsig zugeschrieben
werden: eine eigene Militär- und Finanzgewalt, die die Unterthanen
unmittelbar in seinen Dienst stellt, eine eigene Zwangs- und Staats-
gewalt, die auch die Einzelnen unmittelbar ergreift, eine Organisations-
gewalt, die auch ein vollziehendes Behördensystem befalst und — von
den Einzelstaaten verschiedene — Selbstverwaltungskörper angliedert.
Und hierfür ist es nicht eine Abschwächung, sondern eine Ver-
stärkung, wenn der Bundesstaat neben den Unterthanen auch noch
die Einzelstaaten als Träger solcher Verpflichtungen, die den hier
einschlagenden Zwecken dienen, in Anspruch nimmt.
Wo das positive Recht diese rechtliche Möglichkeit verwirklicht,
da gestaltet sich die Staatspflege zur eigenen und unmittelbaren Ver-
waltung des Bundes.
IV. Diese rechtliche Gestaltung der Staatspflege im Bundesstaate
kann, wenn die Natur der Einzelstaaten als selbständiger staatsartiger
(Gemeinwesen nicht aufgehoben werden soll, nur bestehen, wenn auch
den Einzelstaaten diejenigen Rechts- und Machtmittel zuerkannt
bleiben, welche zur Behauptung ihres Daseins und ihres Wirkungs-
kreises erforderlich sind. Ja. gerade hierin, in dem notwendigen