Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 57. Die Reichsorgane. 339 
läfst sich nicht auf eine Kompetenzvorschrift der Verfassung, sondern 
nur auf das Ermessen der Reichsgesetzgebung stützen. Das aber 
heilst: die Organisationsgewalt des Reiches in Ansehung seiner Haupt- 
organe bildet ein Gebiet eigener und unmittelbarer Ver- 
waltung. 
II. Anderen rechtlichen Gesichtspunkten sind die Hülfsorgane 
des Reiches zugänglich. 
Dafs die Organisationsgewalt sich darauf erstreckt, unter den 
Hauptorganen ein nach mannigfachen sachlichen Rücksichten ge- 
gliedertes System von Hülfsorganen, teils in der Stellung von Behörden 
und Beamten, teils in der Weise der korporativen Selbstverwaltung 
zu regeln, einzurichten, zu handhaben — das ist eine allgemeine 
rechtliche Ermächtigung des Einheitsstaates, welche in seiner Ver- 
fassung entweder ausdrücklich anerkannt oder als selbstverständlich 
vorausgesetzt wird. Allein für den zusammengesetzten Staat und ins- 
besondere für das deutsche Reich trifft diese Selbstverständlichkeit 
nicht ohne weiteres zu. 
Die eigentümlichen Elemente, aus denen sich das Reich zu- 
sammensetzt, die hegemonische Stellung eines Einzelstaates lassen 
eine Gestaltung als denkbar und praktisch durchführbar erscheinen, 
welche die centrale Organisation auf die Hauptorgane beschränkt und 
damit den Hauptnachdruck auf die Erzeugung des gesetzgeberischen 
Willens, als die unmittelbare, durch eigene Organe bewerkstelligte 
Funktion des Reiches legt. In der That beruhte der preufsische 
Entwurf der norddeutschen Verfassung vom 15. Dezember 
1866 und noch die Vorlage der verbündeten Regierungen an den 
konstituierenden Reichstag auf einer solchen Anschauung, wenn sie 
auch nicht ohne Schwankung und Unklarheit zum Ausdruck kam. 
Darnach wäre der gesamte Behördenorganismus für die auswärtigen 
Angelegenheiten, für die Kriegsmarine und Landmacht, für das Post- 
und Telegsraphenwesen dem preufsischen Staatswesen einverleibt 
geblieben; nur als preu[sische Behörden wären sie berufen gewesen, 
nach den Gesetzen und im Interesse des Bundes die Funktionen wahr- 
zunehmen, welche die Verfassung dem „Präsidium des Bundes“ oder 
dem „preulsischen Oberbefehl* oder dem König von Preufsen als 
„Bundesfeldherrn“ zusehrieb. Das fand seinen letzten charakteristischen 
Ausdruck ia der Stellung des Bundeskanzlers, in welchem sich 
die gesamte von Bundes wegen zu führende Verwaltung koncentrieren 
sollte. Denn er blieb trotzdem nach dem zweifellos konstatierten Sinn 
der Entwürfe ein preu/sischer, von preufsischen Instanzen in- 
struierter und nur preu[sischen Instanzen verantwortlicher Beamter. 
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