340 II. Buch. Die Reichsgewalt.
Erst durch die Beschlüsse des Reichstages, welche dem jetzigen Art. 17
der R.V. seine Fassung gaben, wurde mit jener Anschauung der Ent-
würfe definitiv gebrochen. Sie legte dem Bundeskanzler eine selb-
ständige Verantwortlichkeit gegenüber Bundesrat und Reichstag auf
und erhob damit denselben zu einem aufserhalb des preulsischen
Behördensystems stehenden Beamten des Bundes als solchen,
zum Minister des Bundespräsidiums, als des Hauptes der voilziehenden
Bundesgewalt®. Daraus folgte alles Weitere. Denn war der Bundes-
kanzler verfassungsmälsig der oberste Beamte, unter dessen verant-
wortlicher Leitung die gesamten in den Befugnissen des Bundesrates
und des Reichstages nicht begriffenen Funktionen des Bundes stehen
sollten, so war mit jener Entscheidung über die selbständige Stellung
des Bundeskanzlers das Recht des Bundes auf ein umfassendes, von
jedem Einzelstaate unterschiedenes Behördensystem notwendig gegeben.
Damit gewannen die Bezeichnungen der Verfassung „Bundesamt“,
„Bundesdienst“, „Behörde des Bundes“ eine klare Deutung; die
Speeialbestimmungen über die Behörden in der Verwaltung der Post
und Telegraphie, des Konsulatswesens, der Zölle und Steuern wurden
zu Exemplifikationen.. Dem Grundsatze nach war die Organisations-
gewalt des Bundes und jetzt des Reiches auch über seine Hülfsorgane
zu vollem Ausdruck und zu verfassungsmälsiger Anerkennung gelangt.
Selbstverständlich trifft auch die Organisationsgewalt des Reiches
auf die nämliche Schranke, welche gemeingültig für jeden Staat ist.
Das heifst, die Kompetenz desselben erstreckt sich nur auf solche
Hülfsorgane, deren Bildung und Thätigkeit einen Ausschnitt der pri-
mären, der sonstigen dem Reiche verfassungsmälsig zugeschriebenen
materiellen und formellen Kompetenzen darstellt. Nur freilich prägt
sich diese allgemeine Schranke für das Reich in eigentümlicher Weise
aus. Sie bewirkt es, dals nach dem die Kompetenzbestimmungen be-
herrschenden Verfassungsgrundsatz das Behördensystem des Reiches
nur berufen ist, diejenigen Funktionen wahrzunehmen, welche den
verfassungsrechtlichen Begriff der „Beaufsichtigung“ ausmachen. Hierin
wurzelt die Erscheinung, dafs das Behördensystem des Reiches ohne
Änderung seiner Verfassung einer umfassenden Entwickelung gar nicht
fähig ist. Dasselbe bleibt weit zurück hinter der Fülle der Behörden
und Selbstverwaltungskörper, welche der Einheitsstaat für die gleichen
Verwaltungsaufgaben in eigener Vollziehung derselben bedarf. Es findet
Ersatz und Ergänzung in dem System der Behörden und Selbstver-.
waltungskörper, welche kraft der verfassungsmälsigen Stellung der
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