344 II. Buch. Die Reichsgewalt.
zwar nur eine einheitliche Stimme führen, aber das Stimmen-
gewicht ein verschieden abgestuftes sein, je nach einer ungefähren
Schätzung der politischen Bedeutung des Bundesgliedes. Zu diesem
Zwecke zählt die Verfassung auch hier alle einzelnen Staaten auf und
schreibt jedem derselben eine bestimmte Zahl von Stimmen innerhalb
eines „Zusammen“ von 86 zu. Das heilst, die vereinzelte Zahl ist in
keinem Sinne eine absolute, sondern immer nur eine relative und zwar
relativ sowohl im Verhältnis zur Gesamtzahl der verteilten Stimmen
als zur Stimmenzahl jedes anderen Einzelstaates. Damit ist denn die
verfassungsmälsige Organisation des einen Hauptorganes des Reiches
untrennbar verknüpft mit dem in seinem politischen Gewicht ab-
geschätzten Bestande jedes einzelnen der aufgeführten Bundesmitglieder.
Der Wegfall oder Zutritt eines solchen, gleichgültig wie er geschieht,
gleichgültig ob er eine Vermehrung oder Verminderung der Gesamt-
zahl der Stimmen oder die Kumulierung derselben Stimmen in einer
Hand bewirken soll, berührt notwendig die Zusammensetzung des
Bundesrates und das Stimmengewicht aller Staaten. Und so ist auch
hier der Bestand der einzelnen aufgezählten Bundesmitglieder als eine
verfassungsmälsige Notwendigkeit anerkannt, die dies darum nicht
ininder ist, weil sie in Rücksicht auf die Bildung eines Hauptorganes
des Reiches zur Geltung gebrachi wird’?.
2 Auch für R.V.a. 6 leugnet Laband, Staatsrecht d. deutschen Reiches
I 122. 123, die verfassungsmälsige Feststellung des Mitgliederbestandes der
Einzelstaaten. Er begründet dies mit der Berufung auf den Text der nord-
deutschen Verfassung: „Der Bundesrat besteht aus den Vertretern der Mit-
glieder des Bundes, unter welchen die Stimmführung sich nach Mafsgabe
der Vorschriften für das Plenum des ehemaligen deutschen Bundes verteilt,
so dafs Preufsen mit den ehemaligen Stimmen von Hannover etc. 17,
Sachsen 4 etc. Stimmen führt.“ Daraufhin behauptet Laband, dafs der ver-
fassungsmäfsige Grundsatz, der dispositive Wirkung habe, nur der sei, dafs
sich die Stimmführung nach den Vorschriften für das Plenum des ehemaligen
Bundes verteile, dagegen habe der Satz, der, mit „so dafs“ beginnend, das
Register der den einzelnen Staaten zustehenden Stimmen beifügt, nicht den
Charakter einer selbständigen Rechtssatzung, sondern enthalte nur die
„faktische“ Durchführung des sanktionierten Prinzipes; mithin sei dieser
Satz enunciativ in dem Sinne, dafs eine Änderung in dem Bestande der
deutschen Bundesstaaten zwar eine formelle Änderung des Wortlautes des
a.6 und möglicherweise eine Modifizierung des dem Artikel zu Grunde
liegenden Prinzipes der Stimmverteilung zur Folge habe, aber in ihrer recht-
lichen Gültigkeit von einer Änderung des a. 6 nicht bedingt sei. Allein diese
Auffassung ist schon für die norddeutsche Verfassung nach allen Seiten hin
unhaltbar. Im allgemeinen widerspricht es der Natur eines Gesetzes, dafs
die Folgerungen, welche dasselbe aus einem festgestellten Grundsatz ausdrück-
lich zieht, nicht dieselbe formelle und darum selbständige Rechtskraft besitzen,