Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

346 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
gestalt, dals jedes einzelne Mitglied behufs Schätzung seines Stimmen- 
gewichtes im Bundesrate als eine historisch -politische Individualität 
verfassungsmälsig bezeichnet ist. 
Die Reichsverfassung kennt daher keine allgemeinen Rechtsgründe, 
bei deren Zutreffen auf einen vorgesehenen Thatbestand die einzel- 
staatliche Mitgliedschaft am Reiche erworben oder verloren wird. 
Vielmehr bethätigst sich die Organisationsgewalt des Reiches in dieser 
Rücksicht dadurch, dafs die einzelstaatliche Mitgliedschaft, wie sie auf 
individualisierenden Bestimmungen der Reichsverfassung beruht, auch 
fernerhin ausschliefslich von Reichs wegen und immer nur durch ein 
Individualgesetz, welches in den Formen des a. 78 die Reichsver- 
fassung ergänzt und ändert, erworben oder verloren werden kann. 
II. Aus den Verfassungsbestimmungen über die Erwerbs- und 
Verlustgründe ergiebt sich auch die nähere Gestaltung der Organi- 
sationsgewalt des Reiches sowohl in Rüsksicht auf die allgemeinen 
Rechte und Pflichten der einzelstaatlichen Mitgliedschaft, als auch in 
Rücksicht aufihre organischen Rechte, welch letztere sich wesent- 
lich in dem allen Einzelstaaten zustehenden Einfluls auf die Bildung 
des Bundesrates bewähren. 
1. Nach Malsgabe der Reichsverfassung ist das Reich nicht be- 
fugt irgend einen Einzelstaat von der Mitgliedschaft auszuschlieisen, 
ihn dem Reichsverbande auch nur teilweise zu entfremden, ihn in 
Reichsland zu verwandeln, oder mit einem andern Einzelstaat zu ver- 
schmelzen, oder ihn zu zerstückeln, oder sein Stimmrecht und Stimm- 
gewicht im Bundesrat zu ändern. Hier zieht das verfassungsmälsige 
Recht der Mitgliedschaft der Organisationsgewalt des Reiches feste 
Grenzen, wenn dieselben auch durch die anderweitige verfassungs- 
mälsige Befugnis des Kriegs- und Friedensrechtes, der Aufrecht- 
erhaltung der Gesamtheit das einzelne Glied zu opfern, gekreuzt 
werden können. 
2. Auf der andern Seite: die Einzelstaaten sind nicht be- 
fugt, über ihre Mitgliedschaft am Reiche in Recht oder Pflicht zu 
verfügen. 
a. Sie besitzen in keiner Weise, in keinem Umfange und aus 
keinem Grunde die rechtliche Möglichkeit sich dem Reichsverbande 
ganz oder teilweise zu entziehen. In keinem Sinne steht ihnen ein 
Morel, Schweiz. Bundesstaatsrecht (2. Aufl.) 1180 ff. —, aber im Gegensatz zu 
der Verfassung der Vereinigten Staaten a. 4 sect. 3. Beiden Verfassungen 
aber ist die verschiedene Abschätzung des politischen Gewichtes der Einzel- 
staaten fremd. (Von Blumer-Morel konnte die soeben erschienene 3. Aufl. des 
1. Bandes nicht. mehr benutzt werden.)
	        
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