Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 58. Die Mitgliedschaft der Einzelstaaten. 347 
Rücktrittsrecht zu. Selbst eine verfassungswidrige Gewaltthat der 
Reichsorgane gewährt ihnen nur die in der Verfassung begründeten 
Rechtsmittel, unter den zutreffenden Voraussetzungen selbst das Recht 
des Widerstandes gegen die Gewaltthat; aber auch nicht mehr. Denn 
auch für die Einzelstaaten ist zwar die Gehorsamspflicht nur eine 
verfassungsmälsige, aber auch ihr Recht geht immer nur auf Auf- 
rechterhaltune der Verfassung. 
b. Die Einzelstaaten sind nicht berechtigt durch ihre Rechts- 
handlungen die allgemeinen und organischen Rechte und Pflichten 
der Mitgliedschaft zu ändern und die verfassungsmälsigen Voraus- 
setzungen, welche diese ihre Rechtsstellung bestimmen, wesentlich und 
einseitig umzugestalten. Dies trifft selbstverständlich die Rechts- 
handlungen mit dem Auslande*, aber auch nicht minder diejenigen, 
die sich im Innern des Reiches abwickeln. Geschehe dies dadurch, 
dafs mehrere Einzelstaaten sich zu einem Staatswesen verschmelzen, 
* Die Annahme, dafs ein Einzelstaat einseitig sich mit einem auswärtigen 
Staat verschmelzen könne, sei es, dafs das dadurch verschmolzene Gebiet 
aufserhalb oder in den Reichsverband fiele, steht in schnurstrackem Wider- 
spruch mit R.V. a. 1, der das Bundesgebiet nach „Staaten“ gliedert. Damit 
ist es ausgeschlossen, dafs der Einzelstaat Gebiet au[lserhalb des Reichs- 
gebietes besitzt, sein ganzes Gebiet mufs von dem Reiche ergriffen werden, 
und selbstverständlich ist es, dafs dem Reiche Reichsgebiet nicht von irgend 
wem aufgedrungen werden kann. Vgl. Laband, Staatsrecht d. deutschen 
Reiches I 180. 183. G.Meyer, Lehrb. d.d. Staatsr. $ 164, insbes. Note 13 u. 32. — 
Dafs auch die Personalunion des Einzelstaates mit einem auswärtigen Staat 
tief einschneidet in die praktische Ausübung und Handhabung der völker- 
rechtlichen Befugnisse des Reiches, welche vorab die Abwehr fremden Ein- 
flusses auf seine inneren Verhältnisse befassen, liegt auf der Hand. v. Mohl, 
Das d. Reichsstaatsr. S. 9. 10, hat dies in vollkommen zutreffender Weise aus- 
geführt. Läfst sich auch das Verbot einer Personalunion, die die Mitglied- 
schaft am Reiche an sich nicht berührt, unmittelbar aus der Verfassung nicht 
ableiten, so reichen doch die berührten völkerrechtlichen Befugnisse des 
Reiches vollkommen aus, um im Wege der einfachen Gesetzgebung diejenigen 
Mafsregeln und selbst diejenigen Verbote anzuordnen, welche zur Wahrung 
des Reichsinteresses für erforderlich erachtet werden. 
5 Mit vollem Unrecht beruft man sich hiergegen auf die Einverleibung 
Lauenburgs in Preufsen, die ausschliefslich durch das preulsische Gesetz vom 
23. Juni 1876 geschah. Denn die Reichsverfassung gewährte Lauenburg nicht 
die Stellung eines selbständigen Bundesmitgliedes, sie zählt dasselbe nicht in 
einer Reihe mit den übrigen Einzelstaaten auf, sie giebt ihm keine Stimme 
im Bundesrate, sondern sie führt dasselbe nur auf als „Preufsen mit Lauen- 
burg“ — in der unzweideutigen, in den damaligen politischen Verhältnissen 
notorischen Absicht, die Umwandlung der Personalunion in die Verschmelzung 
beider Staaten als eine innere, die Gliedschaftstellung derselben zum Reiche 
nicht berührende Angelegenheit anzuerkennen.
	        
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