354 II. Buch. Die Reichsgewalt.
gemeingültige Recht der Einheitsstaaten nirgends als Ausflüsse der
‚territorialen Herrschaft, sondern immer nur als Wirkungen der persön-
lichen Mitgliedschaft anerkennt: das Recht des Rechtsschutzes gegen-
über dem Auslande und die Pflicht des Wehrdienstes — a. 3 al. 6.
a.57 —.
Die Reichsverfassung konstituiert damit ein unmittelbares Rechts-
und Pflichtverhältnis zwischen dem Reiche als selbständig organisierter
Gewalt und zwischen solchen, von den einzelstaatlichen Mitgliedern
verschiedenen Rechtssubjekten, die eben um dieses Verhältnisses willen
auch seine Mitglieder, seine „Angehörigen“ sind. Sie erkennt damit
ein doppeltes Unterthanen- und Staatsbürgerverhältnis an: die Reichs-
und die Staatsangehörigkeit, letztere in dem engeren Sinne
der Angehörigkeit zum Einzelstaate.
Die Unterscheidung beider Erscheinungen findet ihr Kriterium
in dem allgemeinen Satze, dafs jeder korporative Verband sowohl als
Ganzes als in den organischen Elementen, die ihn gliedern, den Grund
seines Daseins nur in dem Gemeinzweck findet, der ihm kraft seiner
Verfassung eignet. Die Mitgliedschaft am Reiche findet daher ihren
Grund in den verfassungsmälsigen Staatsaufgaben und den zu ihrer
Verwirklichung verfassungsmälsig gewährten Regierungsrechten, welche
die Reichskompetenz ausmachen. Insofern und insoweit dieselben
Teilnehmerrechte der Einzelnen und ihrer Verbände einerseits, Ge-
horsams- und Treuepflichten andererseits gegenüber dem Reiche selbst
erzeugen, besteht die Reichsangehörigkeit.
Insofern und insoweit den Einzelnen und ihren Verbänden Teil-
nehmerrechte, Gehorsams- und Treuepflichten gegenüber ‘den Einzel-
staaten aus den diesen verfassungsmälsig verbleibenden Kompetenzen
entspringen — und zu diesen Kompetenzen gehört auch das Recht
der Vertretung! und der Mitwirkung: auf dem Gebiete der Reichs-
kompetenz — insofern und insoweit greift die Staatsangehörig-
keit zu dem betreffenden Einzelstaate Platz ’°.
Das Verhältnis beider aber bestimmt sich dadurch, dals im
Bundesstaate der eine Staatszweck durch ein sich gegenseitig be-
dingendes und ineinandergreifendes Ergänzungs- und Unterstützungs-
verhältnis verwirklicht wird. Dementsprechend stehen auch die
Bundes- und die Staatsangehörigkeit in einem sich gegenseitig be-
1 Vertretung hier in dem Sinne des Eintretens des Einzelstaates für das
Reich genommen überall da, wo das letztere eine ihm zustehende und nicht
ausschliefsliche Kompetenz aufser Übung läfst.
2 S. Laband, Staatsrecht d. deutschen Reiches I 131.