Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 59. Das „Staatsbürgerrecht“. 355 
dingenden, ineinander eingreifenden und darum untrennbaren Er- 
eänzunes- und Unterstützungsverhältnis. 
I. Auf Grund einer solchen Gestaltung der Dinge im Bundes- 
staate wird auch die staatliche Organisationsgewalt in ihrer Anwendung 
auf die Staatsangehöriekeit verdoppelt — steht sie je zu seinem Teile 
dem Central- und dem Einzelstaate zu. Die Abgrenzung beider aber 
wird in logisch-formaler Folgerung nach dem einfachen Gesichtspunkte 
erfolgen: die Organisationsgewalt steht dem Centralstaate über die 
seinigen, den Einzelstaaten je über ihre Angehörigen zu. Allein diese 
abstrakte Folgerung muls in gewisser Rücksicht überall und sie kann 
in anderen Rücksichten nach den besonderen Malsgaben des positiven 
Rechtes wesentliche Modifikationen erleiden. Und zwar gilt dies in 
Rücksicht sowohl auf das allgemeine Grundverhältnis der Mitglied- 
schaft als auf die besonderen Rechte und Pflichten, die mit der 
Staatsangehörigkeit verknüpft sind. 
1. Das Grundverhältnis der Mitgliedschaft, welches 
hier den Gegenstand der Organisationsgewalt in Gesetzgebung und 
Vollziehung bildet, hat zur Voraussetzung die Feststellung derjenigen 
Thatbestände, mit welchen der Erwerb oder Verlust der 
Staatsangehörigkeit rechtlich verknüpft ist. Das Rechtsverhältnis 
der Staatsangehörigkeit selbst aber wird von der Seite des Rechtes 
bestimmt durch das allgemeine Staatsbürgerrecht auf Teil- 
nahme an den Erweisungen des Staatsverbandes. Das- 
selbe stellt sich positiv überall nur dar als Statusrecht d. h. als 
die präjudizielle Bedingung der mit der Staatsangehörigkeit verknüpften 
besonderen Öffentlichen Rechte, negativ aber als das Recht, dem 
Staatsverband nicht willkürlich entfremdet zu werden, geschehe dies 
durch Expatriierung, Auslieferung, Ausweisung oder Abweisung?. Das 
Rechtsverhältnis wird von seiten der Pflicht bestimmt durch die all- 
gemeine Pflicht der Zugehörigkeit oder des Gehorsams. 
Auch sie bewährt sich positiv nur als die präjudizielle Bedingung 
der besonderen mit der Staatsangehörigkeit verbundenen öffent- 
lichen Pflichten und negativ als die Pflicht, sich nicht willkürlich 
— über die Grenzen der „Auswanderungsfreiheit* hinaus — dem 
Staate zu entziehen. 
3 Reichsstrafgesetzbuch $ 9: „Ein Deutscher darf einer ausländischen Re- 
gierung zur Verfolgung oder Bestrafung nicht überliefert werden“. Frei- 
zügigkeitsgesetz vom 1. November 1867: „Jeder Bundesangehörige hat das 
Recht, innerhalb des Bundesgebietes an jedem Orte sich aufzuhalten oder 
niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkoınmen sich zu 
verschaffen im stande ist“. 
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