370 II. Buch. Die Reichsgewalt.
Mit dem allen ist die Wirtschaft des Reiches an keinem Punkte
und in keinem Sinne Vereins- oder Gesellschaftswirtschaft?®. Sie ist
Staatswirtschaft im vollen Rechtssinne des Wortes.
Aber allerdings der Staatswirtschaft des Reiches steht die Staats-
wirtschaft der Einzelstaaten zur Seite. Beide müssen sich auseinander-
setzen. Es fragt sich:
wie grenzt sich die Finanzwirtschaft beider Teile ab?
ob und welche Einwirkung üben die Einzelstaaten auf die
Finanzwirtschaft des Reiches und umgekehrt das Reich auf die
Finanzwirtschaft der Einzelstaaten ? “
Zur Beantwortung der Frage bedarf es einer Erörterung über die
Finanzquellen des Reiches im allgemeinen und über die regula-
tiven Grundsätze für seine Wirtschaft, sowie über die besonderen
Finanzquellen, welche die Reichsverfassung in den Zöllen, in gewissen
Verbrauchssteuern, in der Post- und Telegraphenverwaltung dem Reiche
überwiesen hat.
II. Die Finanzquellen des Reiches im allgemeinen.
8 61.
I. In den Verfassungen der Bundesstaaten ist das Verhältnis der
Finanzwirtschaft des Centralstaates zu den Einzelstaaten in einer
durchaus verschiedenen Weise bestimmt worden, die sich vorzugsweise
in dem Besteuerungsrecht charakterisiert.
30 Auch rücksichtlich der französischen Kriegskostenentschä-
digung hat niemals „eine nach Analogie der Societät zu beurteilende com-
munio incidens bestanden (Laband in Hirths Annalen 1873 S. 417). Zur
Zeit der hier entscheidenden Friedenspräliminarien vom 26. Februar 1871 war
die deutsche Verfassung in Kraft getreten; der Artikel II der Präliminarien
verpflichtet Frankreich zur Zahlung der Kriegskostenentschädigung an den
Kaiser, d. h. an das Reich und nicht an die Einzelstaaten; das Reich hat
darüber ausschliefslich und suverän durch seine Gesetzgebung verfügt.
Dafs Bayern, Württemberg, Baden — nicht aber das Grofsherzogtum Hessen
rücksichtlich Südhessens — im Verhältnis zu Frankreich den vom Reiche ge-
schlossenen Friedensverträgen besonders beigetreten sind, ändert daran nichts.
Denn dies war eine völkerrechtliche Notwendigkeit, die der Umstand be-
gründete, dafs bis zum Inkrafttreten der Reichsverfassung die süddeutschen
Staaten als solche, als selbständige Parteien, im Kriegszustand mit Frank-
reich befindlich waren. Am wenigsten beweist für jene Ansicht die teilweise
Verteilung der Kriegskostenentschädigung kraft Gesetzes an die einzelnen
süddeutschen und norddeutschen Staaten. Denn das Reich ist berechtigt und
verpflichtet, die Regulierung der Kriegsschäden auch in Rücksicht auf die
Rückwirkung des Krieges auf die Einzelstaaten als solche zu regulieren.