$ 65. Die Rechtsstellung der Einzelstaaten. 403
die Landeshauptkasse jedes Einzelstaates an die Reichskasse zu
zahlen hat!!.
II. Aus allen Einzelheiten ergiebt es sich, dals trotz der Ver-
stärkung des Gesetzgebungsrechtes des Reiches zur vollen Aus-
schliefslichkeit und obeleich sein Verordnungsrecht alle Bethätigungen
der vollziehenden Verwaltung bis in das kleinste Detail hinein be-
herrscht, das Reich nirgends Befuenisse für sich in Anspruch nehmen
kann, welche sich als Befugnisse eigener und unmittelbarer Verwaltung
charakterisieren. An allen Punkten sind es die Einzelstaaten, welche
nach Recht und Pflicht durch Vermittelung ihres geschlossenen Ver-
waltungsorganismus die Durchführung der steuerlichen Gesetze und
Verordnungen des Reiches bewirken und die von Reichs wegen be-
gründeten Verpflichtungen der Unterthanen zur Zoll- und Steuerzahlung,
zur Einhaltung der Ordnungs- und Kontrollvorschriften zur Geltung
bringen.
Damit treffen die wesentlichen Merkmale zu, welche nach R.V. a. 4
die „Selbstverwaltung“ . der Einzelstaaten ausmachen. Allein nichts-
destoweniger sind doch die Einzelstaaten hier in ein besonderes Ab-
hängigkeitsverhältnis zum Reiche versetzt. Denn alle ihre Befugnisse
beziehen sich nicht auf Staatsaufgaben, die sich als ihr eigenes Inter-
esse und als ihr eigenes Recht charakterisieren lassen, sondern sie
stehen im Dienste der Staatswirtschaft des Reiches, sie werden aus-
geübt im finanziellen Interesse des Reiches und für dessen Rechnung:
Hierdurch aber gewinnt die Selbstverwaltung der Einzelstaaten auf
diesem Gebiete ihr eigentümliches, von der gemeingültigen Gestaltung
derselben auf den übrigen Verwaltungsgebieten abweichendes Gepräge.
Diese verfassungsmälsige Rechtsstellung aller Einzelstaaten hat
für die drei süddeutschen Staaten in einer durchaus anomalen Rechts-
bildung eine besondere formelle Bürgschaft empfangen. Als Preis für
den Verzicht auf ihre Exemtion wurde ihnen die gesetzliche Zusiche-
rung erteilt, dals die verfassungsmälsig allen Einzelstaaten zustehende
Erhebung und Verwaltung der Branntweinsteuern gegenüber
einem jeden dieser drei Einzelstaaten nur mit dessen Zustimmung
abgeändert werden kann!?. Damit ist in einer Verfassungsänderung
.ad hoc diesen Einzelstaaten ein formelles Sonderrecht gegenüber
der Verfassungsgesetzgebung des Reiches eingeräumt, dem, der Be-
11 Über die Art und Weise der Abrechnung zwischen den Landeshaupt-
kassen und den Reichskassen s. die Bestimmungen des Bundesrates vom
3. April 1878. Preufs. Ministerialblatt für die innere Verwaltung 1878 S. 146.
12 Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 8 47.
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