s 8 72. Die Strafgewalt des Reiches bei Hoch- und Landesverrat. 431
tegrität, die Organe und Behörden des Bundes nach den Partikular-
gesetzen beurteilt und bestraft werden sollten, nach welchen eine
gleiche gegen den Einzelstaat begangene Handlung zu richten wäre.
Alsdann ist diese Anordnung durch die gemeinrechtlichen Bestim-
mungen des Strafgesetzbuches für den norddeutschen Bund und später
für das deutsche Reich, insbesondere durch seine Definitionen über
Hoch- und Landesverrat gegen Kaiser und Reich ersetzt worden.
Gleichzeitig begründete R.V. a. 75 die Kompetenz des Reiches
zu einer eigenen Strafrechtspflege für hoch- und landesverräterische
Unternehmungen gegen das Reich. Er bestimmte als die hierfür zu-
ständige Spruchbehörde das hanseatische Oberappellationsgericht in
Lübeck, lies es aber bis zum Erlafs der näheren gesetzlichen Be-
stimmungen bei der Zuständigkeit der Gerichte der Einzelstaaten be-
wenden. In Ausübung dieser Kompetenz, wenn auch unter Abände-
rung der verfassungsmälsigen Bestimmungen über den Gerichtshof,
hat alsdann das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 die
Zuständigkeiten in den Fällen des Hochverrats und des Landesverrats,
insofern diese Verbrechen gegen den Kaiser und das Reich gerichtet
sind, festgestellt.
Die Vorbereitung, die Erhebung und Durchführung der öffentlichen
Klage steht der Staatsanwaltschaft des Reiches zu, welche
der Aufsicht und Leitung des Reichskanzlers unterliegt; alle Beamten
der Landesstaatsanwaltschaften, des Polizei- und Sicherheitsdienstes
haben zu diesem Behufe den Anweisungen des ÖOberreichsanwaltes
Folge zu leisten und sind dessen Hülfsbeamte!.
Das Reichsgericht übt die Gerichtsbarkeit nicht als Rechts-
mittelinstanz oder Spruchbehörde, sondern in erster und zugleich auch
in letzter Instanz aus in Prozelsleitung, Untersuchung und Ent-
scheidung und mit allen Rechten des Gerichtszwanges’.
Die Strafvollstreckung erfolgt durch die Reichsanwaltschaft®.
Das Begnadigungsrecht steht dem Kaiser zu‘®.
. Damit hat sich das Reich in den definierten Fällen des Hoch-
und Landesverrates eine eigene und unmittelbare Strafrechtspflege
geschaffen, unabhängig von jeder selbständigen Mitwirkung der Einzel-
staaten und ihrer Organe. In konsequenter Durchführung seiner
Kompetenz hat das Reich den strafrechtlichen Schutz seiner Existenz
und Integrität, seiner Verfassung und Sicherheit auf das eigene Recht
1 Gerichtsverfassungsgesetz 88 143. 147. 148.
? Gerichtsverfassungsgesetz $$ 136. 138.
3 Strafprozel[sO. 8 483. * StrafprozelsO. $ 484.