434 II. Buch. Die Reichsgewalt.
getroffen sei®. — Die Grenzen — dennes ist zweifellos, dafs, wenn
auch vorbehaltlich der Einzelbestimmungen des künftigen Reichsgesetzes,
doch durch das preufsische Gesetz das grundsätzliche Mals der Ein-
griffe bezeichnet werden sollte, welche mit der Ausnahmemafsregel
nieht nur für die bürgerliche Rechtssphäre, sondern insbesondere auch
für die Rechtssphäre der Einzelstaaten verbunden sind.
Der Umfang und die Grenzen der Reichskompetenz werden aber
durch ein Doppeltes gewonnen: teils durch die preufsischen Bestim-
über die Voraussetzungen* und über die Wirkungen des
„Belagerungszustandes“, teils durch die Folgerungen, welche sich
aus der Anwendung der preulsischen Bestimmungen auf Kaiser und
Reich ergeben.
® Das durch das preufsische Gesetz $ 13 dem Staatsministerium über-
tragene Recht der Suspension einiger Verfassungsartikel, auch wenn der Be-
lagerungszustand nicht erklärt ist, ist nach dem Wortlaut der R.V. auf das
Reich nicht übertragen.
* Die Ansicht G. Meyers, Verwaltungsrecht I 184 und Hirths Annalen
1880 S. 346, dals für die Voraussetzungen, unter welchen der Kaiser den Be-
lagerungszustand verkündigen kann, das preufsische Gesetz nicht mafsgebend
sei, ist unrichtig. Zunächst hat die Reichsverfassung selbst diese Voraus-
setzungen nicht feststellen wollen. Denn falls der auch sachlich für die Schwere
der Mafsregel unzureichende Satz des a. 68: „wenn die öffentliche Sicherheit
in dem Bundesgebiete bedroht ist“, die Formulierung der Voraussetzungen
selbst und nicht blofs die legislatorische Tendenz enthalten sollte, so wäre
die Verweisung auf ein zu erlassendes Reichsgesetz auch über die „Voraus-
setzungen“ gegenstandslos. Unrichtig ferner ist die Behauptung, dafs das
preulsische Gesetz diese Voraussetzungen auch seinerseits nicht feststelle,
sondern uur „wann kommandierende Generale und Festungskommandanten —,
wann das Staatsministerium — den Belagerungszustand erklären darf“. Aller-
dings bestimmt $ 1 dieses Gesetzes die Voraussetzungen und die ermächtigte
Person in einem Tenor, allein in $ 2 ist auch in Wort- und Satzfügung die
Feststellung der Voraussetzungen von der Ermächtigungsfrage klar geschieden.
Endlich ist es unrichtig, dafs die Reichsverfassung das’ preulsische Gesetz
nicht auch für die „Voraussetzungen“ in Kraft setze; denn das dafür bezieht
sich sprachlich auf „die Voraussetzungen, die Form der Verkündigung und
die Wirkungen“ und kann nur ganz willkürlich allein auf die letzten beiden
bezogen werden. Eine gelegentliche Äufserung einesBundesratsbevollmächtigten
(Reichstagss. vom 16. Okt. 1878, Sten. Ber. S. 312) kann daran nichts ändern.
Wohl aber ist es für die richtige Auffassung gewichtig, dals in der That der
preufsische Entwurf zur norddeutschen Verfassung — a. 65 — die Erklärung
des Belagerungszustandes durch den „Bundesoberfeldherrn“ schlechthin an die
Bedingung knüpfte, „wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete
bedroht ist“, und nur für die Wirkungen das preufsische Gesetz malsgebend
sein liefs. Erst durch ein Amendement der verbündeten Regierungen wurde
die Mafsgabe des preufsischen Gesetzes auch für die „Voraussetzungen“
festgestellt.