$ 73. Der Kriegszustand. 439
dieser Kriegsgerichte nur für diejenigen Verbrechen und Vergehen ein,
welche durch den $ 10 des preufsischen Gesetzes specialisiert sind.
III. Die unmittelbaren gesetzlichen Wirkungen und die Ermäch-
tigungen, welche sich nach dem preulsischen Gesetze an die Erklärung
des Belagerungszustandes knüpften, beseitigten die gesetzlichen Kom-
petenzabgrenzungen der Behörden und die gesetzlichen Grenzbestim-
mungen, welche der Staatsgewalt gegenüber der rechtlichen Freiheits-
sphäre der Unterthanen gezogen sind. Aber sie erzeugten doch nur
eine Verstärkung der Staatsgewalt, die unverändert in der Hand des
Königs lag.
Mit der Anwendung des preulfsischen Gesetzes auf das Reich, mit
der Übertragung seiner Vollmachten auf den Kaiser werden noch
andere, noch tiefer greifende Rechtsfolgen erzeugt. Sie treffen
die obersten verfassungsmälsigen Bestimmungen über
die Kompetenzverhältnisse zwischen dem Reiche und
den Einzelstaaten. Die Grenzen beider werden an wesentlichen
Punkten verrückt.
1. Mit der Erklärung des „Kriegszustandes“ von Reichs wegen
seht die vollziehende Gewalt in dem Sinne und in dem
Umfange, in welchem sie nach dem preulsischen Ge-
setze auf die Militärbefehlshaber überging, von den
Einzelstaaten auf das Reich, von dem Landesherrn auf
den Kaiser über. Denn der Kaiser ist Inhaber der militärischen
Befehlsgewalt und jeder Militärbefehlshaber ist ihm zu unbedingtem
Gehorsam in allen seinen Funktionen untergeordnet.
Dem Kaiser in letzter Instanz werden auf dem Gebiete der voll-
ziehenden Gewalt die Civilverwaltungs- und Gemeindebehörden und
die Unterthanen selbst zu unmittelbarem Gehorsanı verpflichtet.
Der Kaiser wird ermächtiet, nicht nur Reichsgesetze, sondern
auch diejenigen Landesgesetze aulser Kraft zu setzen, welche durch
die suspendierbaren Artikel der preulsischen Verfassung bezeichnet
sind und welche nicht überall unter eine gesetzgeberische Kompetenz
des Reiches fallen !".
Unter der Autorität des Kaisers, kraft seiner Ermächtigung, fun-
gieren die Kriegsgerichte, welche in den gesetzlich bestimmten Fällen
an die Stelle der unter der Autorität des Landesherrn rechtsprechen-
den ordentlichen Strafgerichte treten.
2. Die Bedeutung dieser Grenzveränderungen der Kompetenz
17 So die gesetzliche Regelung der Polizeigewalt gegenüber der persön-
lichen Freiheit, der Unverletzlichkeit der Wohnung.