$ 73. Der Kriegszustand. 443
hat, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt?®. Die „Formen
der Verkündigung“ nach Mafsgabe des $ 3 des preulsischen Gesetzes
sind nur hinzutretende Formen der Bekanntmachung, welche nicht die
staatsrechtliche Gültigkeit, sondern die Wirksamkeit des erklärten
Kriegszustandes gegenüber den Behörden und der Bevölkerung, die es
angeht, bedingen °?.
Damit steht es ferner in Zusammenhang, dafs die Ermächtigung
bestimmter Militärbefehlshaber, welche das preulsische Gesetz 88 1
und 2 zur selbständigen Erklärung (des Belagerungszustandes erteilte,
blofs auf den Reichskriegszustand beschränkte Ermächtigung des Militär-
befehlshabers zum Ausdruck zu bringen. —
Trotz dem allen ist in Preufsen auf Grund $ 2 des Gesetzes vom 4. Juni
1851 die Erklärung des Belagerungszustandes für den Stadtkreis Bielefeld und
die Amtsgemeinde Gadderbaum-Sandhagen unter dem 28. März 1885 provi-
sorisch von dem obersten Militärbefehlshaber erfolgt und vom preufsischen
Staatsministerium am 30. März bestätigt worden. S. die rechtfertigenden
Denkschriften in den Drucks. des Herrenhauses 1885 No. 84, des Abgeordneten-
hauses No. 173. Das thatsächliche Zusammenfliefsen der Militärbefehlshabung
des Kaisers und der preußischen Staatsgewalt verdeckt hier den Konflikt, ohne
die formelle Reichsverfassungswidrigkeit der Mafsregel zu beseitigen.
20 Der Reichskanzler ist verantwortlich dafür, dafs die Erklärung des
Belagerungszustandes in den gesetzlichen Formen und nur unter den gesetz-
lichen Voraussetzungen erfolgt. Er ist nicht verantwortlich „für die Hand-
lungen, welche die vom König eingesetzten Militärgouverneure in ihrer Eigen-
schaft als Militärbefehlshaber auszuüben haben“ (Erklärung des Präsidenten
des Bundeskanzleramtes in der Reichstagssitzung vom 3. Dez. 1870, Sten. Ber.
S. 52. Hierfür sind die Militärbefehlshaber „persönlich“ verantwortlich
(Preufs. Ges. $ 4). Wohl aber bleibt der Reichskanzler dafür verantwortlich,
dafs diese persönliche Verantwortlichkeit der Militärbefehlshaber bei gesetz-
widrigen Überschreitungen ihrer Befugnisse in Anspruch genommen wird. —
Streitig ist es, ob die Vorschrift des $ 17 des preuflsischen Gesetzes, wonach
den Kammern über die Erklärung des Belagerungszustandes und über jede
Suspension der Verfassungsartikel sofort oder bei ihrem nächsten Zusammen-
treten Rechenschaft gegeben wurden muls, eine analoge Anwendung auf
Bundesrat und Reichstag findet. Allerdings mufs diese besondere Rechen-
schaftspflicht ebenfalls als eine „Wirkung“ der Erklärung des Belagerungs-
zustandes erachtet werden. Es liegt damit die Übertragung der Bestimmung
von den preufsischen Organen auf die entsprechenden Organe des Reiches
durchaus im Sinne der R.V. a. 68. Jedenfalls ist es in der Verantwortlichkeit
des Reichskanzlers begründet, dafs ein solcher Rechenschaftsbericht auf Er-
fordern des Bundestages und des Reichstages erteilt werden muls. 8. die
Reichstagsverhandlungen über die Interpellation Duncker vom 3. Dez. 1870,
Sten. Ber. S. 47 ff. Thudichum, Verfassungsrecht S. 295. A.M. Rönne,
Reichsstaatsrecht I 83.
2ı Laband, Staatsrecht II 539.