Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

462 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
Gliederung des Gesamtstaates gemessen. Gemeinsam ist ein Rechts- 
satz, der im ganzen Bundesgebiet oder doch für mehrere Einzelstaaten 
gilt; partikular ein solcher, dessen Geltung sich auf das Gebiet 
oder den Gebietsteil eines einzelnen Gliedstaates beschränkt. 
Vor allem wird damit die territoriale Wirkungskraft der Gesetz- 
gebung beider Teile bezeichnet. Die Gesetzgebung des Einzel- 
staates kann immer nur Rechtssätze begründen, welche rechtlich 
partikular sind. Denn — abgesehen von der Einwirkung völkerrecht- 
licher Verträge — auch der übereinstimmende Inhalt des Gesetzes- 
rechtes mehrerer Staaten ist ein zufälliger, der rechtlich an seiner 
Geltung als partikularen Rechtes nichts ändert. Dagegen die durch 
die Gesetzgebung des Gesamtstaates begründeten Rechtssätze 
können ihrer rechtlichen Geltung nach gemeinsame, wie freilich an 
sich auch partikulare sein. 
III: In diesem Zusammenhange ist die Bedeutung der R.V. a. 4, ıa 
keine andere als die: den verfassungsmälsigen Beruf des Reiches 
zur Begründung der Gemeinsamkeit des Rechtes für das bürger- 
liche, Straf- und gerichtliche Prozeisrecht festzustellen, aber auch auf 
diese Gemeinsamkeit zu beschränken. Sie ist in der Grundrichtung 
identisch mit der Vorschrift der beiden Reichsverfassungen von 1849 
— 88 64 und 61 —: „Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Er- 
lassung allgemeiner Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- 
und Wechselrecht und gerichtliches Verfahren die Rechtseinheit 
im deutschen Volke zu begründen.“ Nur insofern greift die 
heutige Kompetenz des Reiches weiter, als sie sich auch auf ver- 
einzelte gemeinsame Rechtssätze erstreckt, die nicht zu einem syste- 
matischen Ganzen zusammengefügt sind. 
Des näheren bestimmt sich die Tragweite der Klausel nach zwei 
Seiten hin. 
1. Sie enthält auf der einen Seite eine doppelte Beschränkung, 
a. Das Reich ist nicht kompetent auf den bezeichneten Gebieten 
partikulares Recht zu schaffen. Nur bezieht sich auch dieser Satz 
nicht auf die Form, sondern auf den sachlichen Inhalt der 
Gesetzgebung?. Ein Reichsgesetz, dessen Formulierung seine Gel- 
tung nur auf einen einzelnen Staat oder dessen (Gebietsteile beschränkt, 
kann inhaltlich gemeinsames Recht begründen. Das geschieht dann, 
wenn das partikulare Reichsgesetz gemeinsames Recht in einen bisher 
2 Jedes formell partikulare Reichsgesetz schliefst aus: Heinze, Er- 
örterungen $S. 18, Verhältnis S. 142 fi; Hälschner, Gem. d. Strafrecht I 
90. Dagegen auf den sachlichen Gehalt reflektieren: Rüdorff, Strafgesetz- 
buch 2. Aufl. S. 54 Note 19; Binding, Handbuch d. Strafrechts I 277; 
Laband, Staatsrecht d. deutschen Reiches I 582.
	        
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