468 II. Buch. Die Reichsgewalt.
aufgewiesen werden, der in logisch-rechtlicher Folgerichtigkeit zu einer
wesentlichen Verschiedenheit des Strafrechts in seinen Bedingungen,
Mitteln und Verfahren führen mülste. Und dementsprechend hat auch
das positive Recht, wie es sich in Deutschland vor der norddeutschen
Verfassung gestaltet hatte, den Unterschied nicht zu gemeineültiger
Anerkennung erhoben.
Allerdings hatte in einzelnen, insbesondere den süddeutschen
‚Staaten eine Scheidung der Kodifikation in den allgemeinen Straf-
gesetzbüchern und in besonderen Polizeistrafgesetzbüchern stattgefunden.
Nur war es selbst dem folgerichtigsten bayrischen Polizeistrafgesetz-
buch nicht gelungen, das Unterscheidungsmerkmal zwischen Rechts-
verletzungen in einem eigentlichen Sinne und zwischen Gefährdungen
der Ordnung und Sicherheit rein durchzuführen. Ja überall diente
das Polizeistrafgesetzbuch gleichzeitig dem anderen Zwecke, das Polizei-
verordnungsrecht zu regeln?. Dagegen hatte in den anderen, ins-
besondere den norddeutschen Staaten und hier wiederum an entschei-
dender Stelle in Preulsen die Entwickelung dahin geführt, unter den
Polizeistrafrecht ein Doppeltes zu verstehen, teils das in den Polizei-
verordnungen geregelte Strafrecht, teils die in den allgemeinen Straf-
gesetzbüchern vorgesehenen Thatbestände von geringerer Strafwürdig-
keit, die „Übertretungen“ gegenüber den „Verbrechen“ und „Ver-
gehen“.
In dieser Lage der Doktrin und des positiven Rechtes konnte der
Begriff des Polizeistrafrechtes einen objektiven Malsstab für die Be-
srenzung der Bundeskompetenz nicht abgeben. Die Motive zu dem
Entwurf des norddeutschen Strafgesetzbuches® hoben dies hervor und
vindizierten in diesem Sinne das ganze strafrechtliche Gebiet der
Bundesgesetzgebung. Daraufhin erging das norddeutsche Strafgesetz-
buch* und begründete damit eine Auslegung der R.V. a. 4, ıs, die
nach widerspruchsloser Einführung jenes Gesetzbuches auch in Süd-
2 Bayrisches Polizeistrafgesetzbuch vom 10. November 1861; Württem-
bergisches vom 2. Oktober 1839 und 2. Mai 1852; Badisches vom 31. Oktober 1863.
® Drucksachen des Reichstages 1870 No. 5 Anhang I.
4 Es ist dies um so bezeichnender, als die erste sächsische Kammer am
6. Dezember 1869 den Beschlufs falste: es möge die königlich sächsische
Staatsregierung dahin wirken, dafs diejenigen Bestimmungen, welche sich im
Entwurfe auf das gemeine Polizeistrafrecht beziehen und somit, ausweislich
a. 4 der B.V., der Bundesgesetzgebung nicht unterliegen, im Gesetze selbst
keine Aufnahme finden. — Ein dem entsprechender Antrag von Zehmen
wurde in den Verhandlungen des norddeutschen Reichstages über das Straf-
gesetzbuch gestellt, aber zurückgezogen, 8. April 1870, sten. Ber. S. 759 ff.