490 II. Buch. Die Reichsgewalt.
geschwächt oder preisgegeben hat, stölst auf besondere und eigen-
tümliche Schwierigkeiten.
Unvermeidlich zunächst war es, wie die Verfassung auch die
Rechte in der Heeresverwaltung verteilen mochte, dafs die Rechte des
Reiches und der Einzelstaaten in Preulsen, wie später in Elsals-
Lothringen, in der Hand des Kaisers und Königs nur künstlich unter-
scheidbar zusammenfliefsen mufsten. Und wenn hierbei für Preulsen
das Schwergewicht der grolsen Tradition den Ausschlag dahin gab —
wie es thatsächlich insbesondere in der Beibehaltung des preufsischen
Kriegsministeriums und des unveränderten preufsischen Fahneneides
geschah —, dals die Einheit der Rechte auf den König von Preulsen
und nicht auf den Kaiser bezogen wurde, so mulste hieraus eine
Verdunkelung der Kompetenzen und zwar zu Ungunsten von Kaiser
und Reich entstehen.
Eine weitere Schwierigkeit bildet der Wortlaut der Verfassung
selbst.. Sie hatte es sich bei Begründung des norddeutschen Bundes
in erster Linie zur Aufgabe gestellt, wie durch die Bestimmung des
a. 61, so durch weitgehende Specialisierungen gleichsam mit einem
Schlage alle die Anforderungen, die sie an die Einheitlichkeit des
Heeres stellte, gegenüber den Einzelstaaten zur Durchführung zu
bringen. Aber gerade diese Specialisierungen verdecken vielfach das
leitende Prinzip und sie lassen in dem, was nicht als nächstes prak-
tisches Erfordernis erschien, auffällige Lücken und Dunkelheiten.
Und mit diesem letzten Punkte hängt es endlich zusammen, dals
die Durchführung der verfassungsmälsigen Bestimmungen gegenüber
den Einzelstaaten nicht, wie es der regelmälsige Gang der Dinge er-
fordert hätte, im Wege der Vollzugsverordnungen des Reiches und
der Anordnungen des Kaisers, sondern, anknüpfend an die vertrags-
mälsige Verzichtbarkeit des einzelstaatlichen Rechtes der Offizier-
ernennung, im Wege von besonderen Militärkonventionen
erfolgt ist®. Sie sind mit allen deutschen Staaten bald vom Könige
® Die rechtliche Grundlage für alle Militärkonventionen bildet R.V. a. 66
al. 1 in den Eingangsworten: „Wo nicht besondere Konventionen ein anderes
bestimmen“ ernennen die Bundesfürsten die Offiziere u. s. w. Allein es ist
fraglich, wieweit die hierin enthaltene Ermächtigung, das Militärwesen ver-
tragsmälsig zu ordnen, sich erstreckt.
Nach einer ersten Auffassung bezieht sich die Ermächtigung nur auf das
den Kontingentsherren eingeräumte Recht der Offizierernennung, also nur auf
den einen Satz, an dessen Spitze die Eingangsworte stehen. Es ist zuzu-
geben, dafs dies einer strengen Auslegung des Wortlautes allein entspricht.
Eine zweite Auffassung betrachtet als zulässigen Gegenstand des Ver-
trages die gesamte in R.V. a. 66 den Kontigents- und Landesherren vor-
behaltene Rechtsstellung, nicht blofs ihr Offizierernennungsrecht. Selbst-