$ 84. Militärische Gesetzgebung und Verordnung. 499
kularen Form in einem ersten Stadium ihrer Erzeugung, ma-
teriell Anordnungen für das Reichsheer, auf Grund der Reichs-
verfassung und darum von Reichs wegen. Auch in dieser Form
mithin ist die Ausschliefslichkeit und Einheitlichkeit des Militärverord-
nungsrechtes gegenüber jedem partikularen Verordnungsrecht gewahrt.
Die Eigentümlichkeit der Form aber findet ihre Erklärung in der
hegemonischen Rechtsstellung, welche Preufsen auf dem Gebiete des
Militärrechtes eingeräumt ist. Wie demselben für die Gesetzgebung
über das Militärwesen negativ ein Recht des Veto innerhalb des
Bundesrates dadurch eingeräumt ist, dals die Stimme des Präsidiums
den Ausschlag giebt, wenn sie sich für die Aufrechterhaltung der be-
stehenden Einrichtungen aussprieht, so ist positiv für den Teil des
innerhalb des preufsischen Staates und nach Mafsgabe der preufsischen Ver-
fassung stattfand. Hiernach hatte der Kriegsminister die staatsrechtliche
Gültigkeit aller Erlasse des Kriegsherrn — nach näherer Mafsgabe der Kabinetts
ordre vom 18. Januar 1861 — durch seine Gegenzeichnung zu vermitteln
und die konstitutionelle Verantwortlichkeit auf dem Gebiet der Militär-
verwaltung zu tragen. Allein die Stellung des preufsischen Kriegsministers
als eines Ministers für den preulsischen Staat im Sinne der preufsischen Ver-
fassung ist längst und sofort mit der Wirksamkeit der norddeutschen Ver-
fassung, speciell mit den Militärkonventionen eine Fiktion geworden. Der
Kriegsminister zeichnet jetzt Erlasse und Verfügungen des „Königs“, die dadurch
nicht für die Armee des preufsischen Staates, sondern für eine Armee Gültig-
keit empfangen sollen, die die gesamte deutsche Armee, mit Ausnahme der
bayerischen, sächsischen und württembergischen Kontingente, befalst. Kann
dies Verhältnis die preufsische Verfassung decken? Und wenn zweifellos mit
der Zeichnung des preufsischen Kriegsministers, mit seiner selbständigen Ver-
waltung die konstitutionelle Verantwortlichkeit desselben der Absicht nach
neben der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers festgehalten werden soll,
kann man entfernt daran denken, dieselbe nach Malsgabe der preufsischen
Verfassung vor den konstitutionellen Faktoren Preufsens zur Geltung zu
bringen? Soll dann die nämliche Verantwortlichkeit. etwa auch vor deu
konstitutionellen Faktoren der übrigen, zum preufsischen Armeeverband ge-
hörigen Staaten stattfinden? In der That denkt niemand an eine solche Sach-
und Rechtslage, die schon gegenüber dem Reichsmilitäretat ein Unding ist.
In Wahrheit hat die Stellung des preufsischen Kriegsministers die Schranken
eines preufsischen Staatsministers durchbrochen; die jetzt eingenommene
Stellung nimmt er nur ein auf Grund der Eigenschaft des preufsischen Königs
als deutschen Kriegsherrn und auf Grund der Bestimmungen der Reichs-
verfassung über das deutsche Kriegswesen, welche die Militärkonventionen nur
zur Anwendung und Ausführung gebracht haben. Die preufsische Firma
und die Vermittelung des Militärausschusses oder des württembergischen
Kriegsministeriums für die Wirksamkeit des „preufsischen“ Kriegsministeriums
ist eine Zwitterbildung, welche das wahre That- und Rechtsverhältnis des
letzteren, als eines deutschen Kriegsministeriums, künstlich verdeckt.
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