2938 II. Buch. Die Reichsgewalt.
ein Interesse an einer bestimmten inneren Ordnung je des andern
Staates erzeuest haben.
Der Inhalt dieser Verträge ist nicht ein specifisch völkerrecht-
licher. Denn Verträge specifisch völkerrechtlichen Inhaltes haben
Verhältnisse zum Gegenstand, deren Regelung ihrer Natur nach aulser-
halb des einseitigen Verfügungsrechtes des einzelnen Staates liegt,
wie bei Allianzen oder Friedensschlüssen, bei Grenzverträgen oder
Einräumung von Staatsservituten. Vielmehr haben jene anderen Ver-
träge genau denselben Inhalt, welcher an sich Inhalt der einseitigen
Gesetzgebung und Verordnung jedes einzelnen Staates ist. Wenn da-
her die Verträge specifisch völkerrechtlichen Inhaltes nur insofern
und insoweit, als sie gleichsam zufällig und als Mittel zum Zwecke
eine Rückwirkung auf die innere Staatsordnung ausüben, Rechtsver-
bindlichkeiten der Behörden und Unterthanen herbeiführen, so müssen
jene anderen Verträge ihrer Natur und Absicht nach die nämliche
Rechtsverbindlichkeit gegenüber den Staatsbehörden und den Unter-
thanen gewinnen, wie Gesetze und Verordnungen. Es ist gleichgültig,
ob dies dadurch bewirkt wird, dafs der Vertragsstaat den Inhalt des
Vertrages in die Form des Gesetzes oder der Verordnung überträgt,
oder dals er — wie dies a. 11 der R.V. anordnet — dem verkün-
digten Vertragsinstrumente selbst die gleiche Geltung, wie einem
Gesetze oder einer Verordnung beilegt. |
Diese Erscheinungen der zufälligen Rückwirkung oder der ab-
sichtlichen Einwirkung der völkerrechtlichen Verträge auf die inneren
Ordnungen des Staatslebens führen für das deutsche Reich, mit seiner
organischen Gliederung in Einzelstaaten, zu dem Unterschiede der-
jenigen Staatsverträge, die ihrem Inhalte nach solche Gegenstände der
Gesetzgehung oder solche Malsregeln der vollziehenden Verwaltung be-
‘treffen, welche nach Malsgabe der verfassungsmälsigen Verteilung der
Kompetenzen zwischen dem Reiche und den Einzelstaaten dem Wir-
kungskreise der letzteren vorbehalten sind, und andererseits derjenigen
Staatsverträge, bei denen eine Einwirkung auf die Kompetenz der
Einzelstaaten nicht stattfindet. Nach diesem Unterschiede hat sich
der Umfang des Vertragsrechtes des Reiches in seinem Verhältnis zu
der Rechtsstellung der Einzelstaaten zu bestimmen.
2. Es kann nicht ohne weiteres behauptet werden, dals aus der
Natur des Bundesstaates eine Beschränkung des Umfanges des Ver-
tragsrechtes des Gesamtstaates durch die innere Kompetenzabgrenzung
folee. Denn die politische Anforderung an die Einheitlichkeit der
völkerrechtlichen Vertretung und die Unvollkommenheit der völker-
rechtlichen Persönlichkeit der. Einzelstaaten kann allerdings dahin