Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

8 91. Das Verhältnis der inneren zu den auswärtigen Kompetenzen etc. 543 
Wenn hiernach das Reich durch die ihm verfassungsmälsig zu- 
stehenden Kompetenzen befugt ist, im weitesten Umfang die auswär- 
tigen Beziehungen zu regeln und die Einhaltung völkerrechtlicher 
Verpflichtungen zu sichern, so ist es aber auch auf der anderen Seite 
durch diese Kompetenzbestimmungen beschränkt. Denn hier aller- 
dings, wo es sich lediglich um eine einseitige und innere Handhabung 
der Staatsgewalt aus gewissen Motiven und zu gewissen Zwecken 
handelt, muls, soweit gesetzliche Specialklauseln nicht entgegenstehen, 
aus der Natur der Sache gefolgert werden, dals die Kompetenzab- 
grenzung der Staatsgewalt des Reiches einerseits und der Einzelstaats- 
gewalt andererseits malsgebend bleibt. Das Reich kann ohne Ver- 
fassungsänderung die ihm zustehenden inneren Kompetenzen in Rück- 
sicht auf die völkerrechtlichen Beziehungen, welche durch ihre Hand- 
habung geregelt werden können, nicht weiter ausdehnen, als sie ihm 
verfassungsmälsig ohne diese Rücksicht zustehen, also auch da sich 
kein unmittelbares Recht der Vollziehung beilegen, wo ihm verfassungs- 
mälsig nur Gesetzgebung und Beaufsichtigung. zusteht. Daher denn 
auch das Recht der Retorsion und der Repressalien dem Reiche in 
diesem Umfange, aber auch nur in dieser Beschränkung zusteht!?. 
III. Ist hiernach der Satz verfassungsmälsig begründet, dafs die 
innere Kompetenzaberenzung zwischen Reich und Einzelstaaten zu- 
gleich die Schranke bestimmt, welche den Befugnissen des Reiches 
auf dem Gebiete der auswärtigen Angelegenheiten gezogen ist, so ist 
derselbe, in besonderer Anwendung auf das Vertragsrecht, identisch 
mit dem anderen Satze: das Reich und als dessen Organ der Kaiser 
ist auf Grund der Verfassung und ohne den Willen der Einzelstaaten !? 
nieht ermächtigt, namens des Reiches Staatsverträge abzuschlielsen, 
welche in die den Einzelstaaten verfassungsmälsig vorbehaltene innere 
Rechtssphäre eingreifen. Ist dies richtig, dann trifft an diesem Punkte 
die Streitfrage, welche sich auf Grund des a. 11 der R.V. und ins- 
besondere über das Verhältnis des ersten und dritten Alinea dieses 
Artikels erhoben hat, überhaupt nicht zu. 
Die erhobene Streitfrage trifft lediglich die folgende Alternative. 
Ist durch das in al. 3 dem Bundesrate und Reichstage zugeschriebene 
Zustimmungs- und Genehmigungsrecht zu Staatsverträgen das dem 
Kaiser nach al. 1 zustehende Recht der völkerrechtlichen Vertretung 
des Reiches, insbesondere der Eingehung von Verträgen mit fremden 
Staaten dahin beschränkt, dafs der Kaiser ohne jene Zustimmung und 
12 Seydel, Kommentar S. 119 zu eng, v. Rönne, Staatsrecht d. deut- 
schen Reiches Il2 304. 305 zu weit. 
13 Über die Beschränkung: „ohne den Willen der Einzelstaaten“ s. IV 8 93.
	        
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