546 I. Buch. Die Reichsgewalt.
Ist nun das Recht des Friedensschlusses unter das Recht der
Kriegsführung und nicht unter das der Verträge gestellt, dann findet
auch das al. 3 des a. 11 auf dasselbe keine Anwendune. Das al. 3.
aber ist es allein, welches einerseits die Mitwirkung des Bundesrates
und: des Reichstages bei Verträgen anordnet und welches andererseits
das Vertragsrecht des Reiches dahin beschränkt, dafs dasselbe an die
innere Kompetenzabgrenzung zwischen Reich und Einzelstaaten ge-
bunden sei.
Zu Friedensschlüssen ist daher das Reich, der Kaiser schlechthin
und unangesehen ihres Inhalts verfassungsmälsig ermächtigt. Sie
sind weder für ihre völkerrechtliche, noch für ihre staatsrechtliche
Gültigkeit weder an die Mitwirkung von Bundesrat und Reichstag
überhaupt, noch auch dann an die Voraussetzungen der Verfassungs-
änderung gebunden, wenn sie in das verfassungsmälsige Kompetenz-
gebiet der Einzelstaaten eingreifen!®. Eine andere Erage ist es, ob der
völkerrechtlich und staatsrechtlich gültige Friedensvertrag zu seiner
inneren Durchführung der Mitwirkung der gesetzgebenden Faktoren
in einfachen oder verfassungsändernden Formen bedarf!? 2°.
18 Läfst der Wortlaut der Verfassung, wie zweifellos, die entwickelte
Auffassung zu, dann sind allerdings die Vorgänge bei den deutsch-französi-
schen Friedensverträgen, insbesondere den Präliminarien vom 26. Febr. 1871
und dem Friedensvertrage vom 10. Mai 1871 ein Präcedenzfall von so ent-
scheidender Kraft, wie sie stärker nicht gedacht werden kann. Denn ohne
jede äufsere Zwangslage haben alle gesetzgebenden Faktoren keinen Zweifel
darüber verlautet, dafs die Friedensverträge auch ohne ihre Mitwirkung völker-
rechtliche und staatsrechtliche Gültigkeit gewonnen haben. S. Meier, Staats-
verträge S. 305 ff.
19 Daher z. B. zwar Elsals-Lothringen durch die französischen Friedens-
verträge mit völkerrechtlicher und staatsrechtlicher Gültigkeit dem deutschen
Reiche gewonnen war, die Regelung seiner staatsrechtlichen Verhältnisse aber,
insbesondere die Erstreckung der Reichsverfassung auf dasselbe der Ver-
fassungsgesetzgebung bedurfte.
20 Die Litteratur ist auch in Rücksicht auf das Recht der Friedensver-
träge durchaus zwiespältig. Für das unbeschränkte Recht des Kaisers:
v. Mohl, Reichsstaatsrecht S. 313; E. Meier, Staatsverträge S. 305 ff.;
v. Rönne, Staatsrecht d. deutschen Reiches Ile 307ff. und Preufsisches
Staatsrecht Iı 707 f£.; G. Meyer, Staatsrecht $ 190; Schulze, Deutsches
Staatsrecht II 332; in Anwendung auf Gebietsabtretungen: Laband, Staats-
recht I 182ff.; vgl. aber S. 661 Note 2; Tinsch, Recht der Einzelstaaten
S. 13; für die Gleichstellung von Friedensverträgen .mit anderen Verträgen:
Thudichum, Verfassungsrecht S. 93. 254; Hiersemenzel, Verfassung 8. 52;
Westerkamp, Die Reichsverfassung $8. 43; Proebst, Annalen d. deutschen
Reiches 1882 S. 314 ff.; eigentümlich Seydel, Kommentar: Gebietsteile eines
Bundesstaates können ohne Zustimmung desselben auch durch Friedensschluls
nicht abgetreten werden, S. 29, fallen Friedensverträge in den Bereich der