Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

560 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
sandtschaften unterhält, die Vertretung der bayerischen Angelegen- 
heiten den Bundesgesandten nicht obliegt, so ist damit anerkannt, 
dafs überall, wo die Einzelstaaten auf eigene Gesandtschaften ver- 
zichten, auch die Vertretung ihrer speciellen Angelegenheiten zu den 
regelmälsigen, ohne weiteres eintretenden Funktionen der Organe des 
Reiches gehört. 
Tritt dieser Verzicht ein, so ist es das Reich, welches alsdann 
nicht erst kraft: Auftrages des Einzelstaates, sondern unmittelbar kraft 
seiner verfassungsmälsigen Stellung im Verhältnis zu den auswärtigen 
Staaten legitimiert ist, durch seine Organe und durch seine Thätig- 
keit alle Interessen und Rechte der Einzelstaaten wahrzunehmen. 
Das Verhältnis des auswärtigen Amtes des Reiches und seiner Ge- 
sandten gewinnt alsdann den nämlichen Rechtscharakter, welchen 
dieses Amt und die deutschen Konsulate im Auslande für die 
Wahrnehmung der konsularischen Rechte und Interessen der Einzel- 
staaten besitzen. 
"Das trifft auch das Vertragsrecht. 
Allerdings gewinnt das Reich durch den Verzicht des Einzel- 
staates auf seine völkerrechtliche Stellung und im Verhältnis zu diesem 
nicht das Recht, ohne und gegen den Willen desselben auch über 
solche Gegenstände im völkerrechtlichen Verkehr zu verfügen, welche 
der inneren Kompetenz des Einzelstaates unterliegen. Aber es hat Recht 
und Pflicht auf Antrag des Einzelstaates die Vertragsverhandlungen für 
den Einzelstaat, an Stelle und in Vertretung desselben zu führen. 
Es kann dies in doppelter Form geschehen. 
Entweder dergestalt, dafs die Organe des Reiches im Namen des 
Einzelstaates und für denselben die Verhandlungen führen — hier 
wird durch Vermittelung des Reiches das völkerrechtliche Vertrags- 
verhältnis zwischen dem Einzelstaat und dem auswärtigen Staat be- 
gründet!. | 
Oder aber das Reich schliefst in seinem eigenen Namen das Ver- 
tragsverhältnis ab. Hier wird das völkerrechtliche Vertragsverhältnis 
nur zwischen dem Reich und dem fremden Staat begründet; das Reich 
macht eintretenden Falles die für den Einzelstaat bestimmten Befug- 
nisse als seine eigenen Rechte geltend und es übernimmt die Pflichten 
gegen den fremden Staat als eigene dergestalt, dals die Erfüllung 
1 So das Abkommen mit Rufsland wegen des unmittelbaren Geschäfts- 
verkehres zwischen den Justizbehörden der russischen Grenzprovinzen und des 
Gerichtsbezirkes Warschau vom _4. Februar 1879. Preufs. Ges. S. 1879 S. 138. 
23. Januar 
 
	        
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