62 II. Buch. Die Reichsgewalt.
unvollkommene. Denn das Reich ist auch dieser ihrer Stellung gegen-
über zur Schutzmacht der Einzelstaaten berufen, und es gewinnt bei
dem zulässigen Verzichte derselben auf ihre völkerrechtlichen Befug-
nisse ein Vertretungsrecht der Einzelstaaten, welches alle ihre Be-
ziehungen zu auswärtigen Staaten deckt. Auch hierin gewinnt die
Suveränität des Reiches gegenüber der nicht suveränen Stellung der
Einzelstaaten einen zutreffenden Ausdruck.
II. Abschnitt.
Die Staatenpflege.
S 9.
Das Wesen der Staatenpflege.
Die Erscheinung des Bundesstaates nimmt ihrer Natur nach die
Einzelstaaten zu ihrer verfassungsmälsigen Voraussetzung. Sie bilden
das notwendige Komplement des Bundes, um die Gesamtheit der
Staatsaufgaben zu erfüllen, welche die Kulturentwickelung des Volkes
fordert. Sie sind in allen Bundesstaaten beteiligt an der Bildung der
Hauptorgane des Bundes, so dafs das verfassungsmäfsige Wollen und
Handeln des Bundes selbst unmöglich ist ohne die gesicherte, regel-
rechte Wirksamkeit des Staatsorganismus der Einzelstaaten. Mit der
Vernichtung ihres Daseins, mit der Hemmung und Durchbrechung
ihrer Thätigkeiten werden auch die thatsächlichen und rechtlichen
Bedingungen beseitigt, auf welchen die Verfassung und die Funktionen
des Centralstaates beruhen.
1. In einem solchen Gefüge haben alle Bundesverfassungen ohne
Ausnahme dem Bunde das Recht und die Pflicht zuerkannt, jedem
Einzelstaat Schutz in seinem rechtlichen Dasein zu gewähren, wie
gegen die Gewaltthat von aufsen, so auch gegen die Gewaltthat in
seinem Innern und so auch gegen die besonderen Gefahren, welche
der ungeschlichtete Rechtsstreit um die Verfassung des Staates mit
sich bringt.
Hierauf zielt die Befugnis der „eidgenössischen Intervention“ bei
inneren Unruhen und die „Garantie“ nicht nur für die Existenz über-
haupt, sondern selbst für eine bestimmte Regierungsform der Staaten
und Kantone, welche dem Bunde die Verfassungen der amerikanischen