$ 95. Der Schutz der Einzelstaaten. 565
I. Kapitel.
Der Schutz der Einzelstaaten.
8 95.
Die deutsche Reichsverfassung enthält keine ausdrückliche
und besondere Klausel, wie die Deutsche Bundesakte und die
Wiener Schlulsakte! und wie die anderen Bundesverfassungen, welche
dem Bunde die Garantie der Einzelstaaten in ihrem Bestande gegen
auswärtige Feinde, in ihrem inneren Frieden und in ihrer Verfassung
auferlegt. Vielmehr verwirklicht sich der Schutz der Einzelstaaten
lediglich durch Anwendung der allgemeinen anderweitigen Kom-
petenzen, welche dem Reiche nach Recht und Pflicht gegeben sind.
Seine völkerrechtlichen Befugnisse und die Stellung,
die innerhalb derselben den Einzelstaaten angewiesen ist, sind es,
welche die Rechte und Interessen der letzteren in der Völkergemein-
schaft der Vertretung und Wahrung durch das Reich anbefehlen.
Aus der Kompetenz auf dem Gebiete des Strafrechtes und
Strafprozesses folgt es, dals das Reich die Regelungen trifft, die
den strafrechtlichen Schutz der Verfassung, der Organe und der
Funktionen der Einzelstaaten bewerkstelligen. Und hierdurch gewinnt
der Einzelstaat den Rechtsschutz in einem Umfange, wie er ihn in
seiner Vereinzelung zu beschaffen nicht im stande ist. Denn nur das
Reich kann es bewirken und bewirkt es, dafs der Angriff auf die
Rechtsordnung des Einzelstaates einer strafrechtlichen Verfolgung
unterworfen wird, welche es vollkommen gleichsültig läfst, ob derselbe
auf dem Territor oder von dem Angehörigen irgend eines anderen
Einzelstaates erfolst ist.
Die Ermächtigung des Kaisers nach näherer gesetzlicher Mafsgabe,
wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiet bedroht ist, einen
jeden Teil desselben in Kriegszustand zu erklären — R.V.a.68 —
enthält zugleich die Pflicht desselben, auch bei Bedrohung des Einzel-
staates als solchen die zu Gebote stehenden Schutzmittel zur An-
wendung zu bringen. Und R.V. a. 66 al. 2 sichert dem Einzelstaate
ı D.B.A. aa. 2. 11, W.S.A. aa. 25-297. 35. 36 ff.
2 Insbesondere ist es für den Thatbestand des Hoch- und Landesverrates
gleichgültig, ob der Thäter Angehöriger des betroffenen oder eines anderen
deutschen Einzelstaates ist, nur für das Strafmafs bei Mord oder Mordver-
such gegen Bundesfürsten ist es von Gewicht, ob der Thäter Angehöriger
oder Aufenthalter des betroffenen Einzelstaates ist. D. Str.G.B. aa. 80. 81
bis 90. 92.