968 II. Buch. Die Reichsgewalt.
Der Anspruch mithin, welcher in einer Verfassungsstreitiekeit von
den Parteien erhoben wird, geht immer auf Anerkennung der
GeltungeinerVerfassung oder Verfassungsbestimmung,
durch welche zwar der konkrete Rechtsstreit gleichzeitig entschieden,
für. welche aber über den einzelnen Fall und über die konstituierten
Parteien hinaus rechtliche Wirksamkeit ausdrücklich oder der Sache
nach behauptet wird. Daraus folgt ein Doppeltes.
-1. Die zur Erhebung des Verfassungsstreites berufenen „Teile“
sind in der Regel nur diejenigen Organe des Staates, welche ver-
fassungsmälsig zur Wahrung und Handhabung der Verfassung berufen
sind: die Regierung und: die Volksvertretung.
In der Regel können die einzelnen Staatsbürger immer nur die
Verletzung konkreter, subjektiver Rechte, die ihnen aus der Ver-
fassung entstehen, geltend machen. Hierfür sind sie angewiesen, wie
auf die regelmälsigen Rechtsmittel der Beschwerde und Klage, so in
letzter Instanz darauf, dafs sich die Volksvertretung ihres Rechtes
annimmt und bei zutreffender Voraussetzung ihrerseits an den kon-
kreten Fall den Verfassungsstreit anknüpft. Nur unter aufserordent-
lichen Voraussetzungen werden auch die einzelnen Staatsbürger, ins-
besondere auch die einzelnen Mitglieder der nicht konstituierten Ver-
tretungskörper zur Erhebung der Verfassungsstreitigkeit legitimiert.
Dahin gehört es, wenn die Verletzung der Verfassung gerade darin
besteht, dals die hierzu berufenen Organe thatsächlich an der Wahr-
nehmung der Vertretung der Verfassung behindert werden, z. B. bei
verfassungswidriger Nichteinberufung oder Vertagung der Vertretungs-
körper, bei Octroyierung eines Wahlgesetzes, bei Beseitigung der
Verfassung selbst.
Dahin kann es gehören, wenn durch das Zusammenwirken der zur
"Wahrung der Verfassung berufenen Organe solche subjektive Rechte ver-
letzt und schutzlos werden, die nach der Lage der konkreten Verfassungs-
bestimmungen eine Schranke jener Organe, insbesondere aber der Ge-
setzgebung bilden, wie z. B. beim Erlafs von Thronfolge- oder Regent-
schaftsgesetzen unter Verletzung agnatischer Rechte.
Dahin gehört endlich der singuläre Fall, dafs die Staatsbürger
einen im öffentlichen Rechte begründeten Anspruch auf Verleihung
einer konstitutionellen Verfassung geltend machen können, wie das im
Falle des Fürstentumes Ratzeburg von Bundesrat und Reichstag an-
erkannt worden ist“.
* Die Anerkennung des Anspruches der Staatsbürger im Fürstentum
Ratzeburg auf Verleihung einer Verfassung als einer Verfassungsstreitigkeit
stützte sich auf ein Doppeltes. Auf a. 76 al. 2 selbst, weil hier die Reichs-