8 95. Der Schutz der Einzelstaaten. 571
eines Teiles“ ist es Recht und Pflicht des Reiches, die Verfassungs-
streitigkeit „zur Erledigung zu bringen“.
Das hierzu berufene Organ ist der Bundesrat. Eine Initiative
des Reichstages ist lediglich im Sinne einer Aufforderung an den
Bundesrat zulässig, seinen verfassungsmälsigen Pflichten nach Malsgabe
des a. 76 zu genügen.
Nach erfolgtem Anruf eines Teiles hat der Bundesrat an erster
Stelle einen „gütlichen Ausgleich“ zu versuchen. Gelingt der-
selbe nicht, so ist der Bundesrat nicht berechtigt, die Streitigkeit auf
sich beruhen zu lassen. Er ist dies auch nicht auf die Behauptung
hin, dafs eine Verfassungsstreitigkeit im Sinne der R.V. a. 76 nicht
vorliege, oder dafs die Legitimation dem anrufenden Teile fehle !®.
Denn auch diese Vorfragen sind Bestandteile der Verfassungsstreitig-
keit selbst, zu deren einseitiger Erledigung im Mangel gütlichen Aus-
gleichs der Bundesrat verfassungsmälsig nicht berufen ist.
Gelingt vielmehr die Erledigung der Verfassungsstreitigkeit, aus
welchem Grunde es sei, nicht, so ist: der Bundesrat verpflichtet, den
„Weg der Reichsgesetzgebung“ zu beschreiten. Der Weg der
Gesetzgebung befalst aber ein Doppeltes.
Zweifellos ist der Bundesrat befugt, dem Reichstag einen Gesetz-
entwurf vorzulegen, welcher die Entscheidung der Verfassungsstreitig-
keit unmittelbar zum Inhalte hat. Auf dem Wege eines solchen
Gesetzes ist allerdings die formale Möglichkeit gegeben, die Ver-
fassungsstreitigkeit nicht blofs unter den Malsgaben einer Rechtsent-
scheidung, sondern auch unter dem Gesichtspunkt eines Ausgleiches
widerstreitender Interessen in freier Erwägung zu schlichten. Im
letzteren Falle würde die Kompetenz des Reiches sich zu einer ver-
fassunggebenden ‚Befugnis, zu dem Rechte des Reiches erweitern, in
Anlafs eines Rechtsstreites die Verfassung des Einzelstaates mit der
Kraft eines Reichsgesetzes zu regeln. Aber gerade dies kann als die
Absicht der Verfassung nicht angenommen werden. Auch der Weg
der Gesetzgebung soll dem materiellen Erfolg nach nur eine Rechts-
entscheidung herbeiführen. Und nur dies fordert die Natur der Ver--
fassungsstreitigkeit, dals die Entscheidung die Natur einer authentischen
Interpretation, der gesetzkräftigen Anerkennung einer Verfassungsnorm
an sich trägt.
10 Die entgegengesetzte Auffassung würde gerade die schwersten Ver-
fassungsbrüche zur einseitigen Entscheidung des Bundesrates verstellen. Wie
unter Wahrung dieses Grundsatzes prima vista ungerechtfertigten Querulanten
entgegengetreten werden kann, kann nur ein Ausführungsgesetz regeln.