Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

572 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
Aber nicht minder zweifellos ist es, dals der Weg der Gesetz- 
gebung auch die andere Bedeutung hat, wonach das Gesetz nur den 
Gerichtshof schafft und das Verfahren regelt, durch welche die Ver- 
fassungsstreitigkeit im Namen des Reiches durch einen Rechtsspruch 
geschlichtet wird. Ja diese Art der Schlichtung im Wege der Gesetz- 
gebung ist nicht nur eine zulässige, sondern sie ist um der verfassunes- 
mälsigen Notwendigkeit der Erledigung der Verfassungsstreitigkeit willen 
eine gebotene, wenn die Übereinstimmung zwischen Bundesrat und 
Reichstag über die direkte gesetzliche Entscheidung nicht herbei- 
geführt werden kann. Damit ist es aber auch gesagt, dafs ein be- 
gründeter Einwand gegen die Kompetenz des Reiches nicht erhoben 
werden kann, einen Gerichtshof zur Entscheidung von Verfassungs- 
streitickeiten als eine dauernde organische Einrichtung zu schaffen. 
Gerade in dieser Richtung und in diesem Sinne hat: das Gesetz 
vom 14. Mai 1881 einen Präcedenzfall geschaffen. Dasselbe beruft für 
den Einzelstaat Hamburg das Reichsgericht in seinem vereinigten 
Civilsenate zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Senat und 
Bürgerschaft über die Auslegung der Verfassung oder von Gesetzen, 
über ein von dem Senat oder der Bürgerschaft auf Grund der Ver- 
fassung oder eines Gesetzes behauptetes Recht und über die Frage, 
ob ein Mitglied des Senates oder der Behörden wegen Verletzung der 
Verfassung oder eines in anerkannter Gültigkeit stehenden Gesetzes 
zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen sei, sowie ferner zur Ent- 
scheidung des Streites, ob eine Meinungsverschiedenheit zwischen 
Senat und Bürgerschaft, deren Entscheidung ohne Nachteil nicht aus- 
gesetzt werden darf, zu der dem Reichsgericht oder zü der einer 
„Erntscheidungsdeputation“ zugewiesenen Kategorie von Meinungsver- 
schiedenheiten gehört!!. Damit ist in dem Beichsgericht, wenn auch 
nur in Beschränkung auf einen Einzelstaat, ein ständiger Staats- 
gerichtshof zur Erledigung von Verfassungsstreitigkeiten im Wege der 
Reichsgesetzgebung geschaffen worden. 
Mit dem allen ergiebt R.V. a. 76 al. 2 eine Gestaltung der Kom- 
petenz, welche dem Reiche nach Recht und Pflicht den obersten 
Rechtsschutz der Einzelstaatsverfassungen überträgt. Sie erhält ins- 
besondere den Rechtssatz des alten Bundesrechtes von Reichs wegen 
aufrecht: „Die in anerkannter Wirksamkeit bestehenden landständischen 
Verfassungen können nur auf verfassungsmälsigem Wege wieder ab- 
geändert werden“ !?. Sie bewirkt es, dafs das Reich auch ohne aus- 
ıı Hamburger Verfassung vom 13. Oktober 1879 aa. 71 u. 76. 
12 Wiener Schlufsakte a. 56.
	        
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